Ekrem Imamoglu war als Betriebswirt und Bauunternehmer aus Trabzon am Schwarzen Meer vor vier Jahren weitgehend unbekannt. Mit der Bürgermeisterwahl 2019 in Istanbul wurde er zum größten Gegner Erdogans.
Der Bürgermeister der größten türkischen Stadt wurde jetzt von einem Gericht mit einem Politikverbot belegt. Wegen Beleidigung wurde er auch zu einer Haftstrafe verurteilt.
Erdogan: Politischer Gegner erhält Haftstrafe und Politikverbot
Imamoglu gehört der sozialdemokratischen Partei CHP an. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gab es 2019 die erste Schlappe – Imamoglu gewann mit mit knappem Vorsprung die Bürgermeisterwahl in Istanbul. Zuvor wurde die Stadt 25 Jahre lang von Erdogans islamisch-konservative AKP regiert.
Auch, wenn der Hohe Wahlrat die Wahl annullierte, konnte Imamoglu bei der Wiederholung des Urnengangs drei Monate später triumphieren – und das sogar mit einer deutlichen Mehrheit. Diese Annullierung hatte Imamoglu scharf kommentiert.
Damals sagte er: „Die Leute, die diese Entscheidung getroffen haben, sind Idioten.“ Diese Bezeichnung bringt ihm nun ein Politikverbot und ein Hafturteil ein. Das Istanbuler Gericht verurteilte Imamoglu am Mittwoch (15. Dezember) wegen Beleidigung von Staatsbediensteten zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.
Noch ist das Urteil nicht rechtkräftig, auch Imamoglus Anwalt kündigte umgehend Berufung an. Solange das Verfahren läuft, darf er weiter als Bürgermeister im Amt bleiben. Erst dann verliert er seinen Posten als Bürgermeister der 16-Millionen Einwohner großen Metropole.
Erdogan: Zu große Konkurrenz
Nur ein halbes Jahr vor der Präsidentschaftswahl in der Türkei hat das Gericht der politischen Karriere des ehemaligen Bauunternehmers einen Stoß versetzt. Imamoglu galt als ein möglicher Präsidentschaftskandidat, als Kandidat für die größte Oppositionspartei CHP und somit auch als wichtigster innenpolitischer Gegenspieler Erdogans.
Die Opposition geht davon aus, dass das Vorgehen „politisch motiviert“ sei. „Bei diesem Urteil und diesem Politikverbot hat man den Eindruck, dass die Justiz und im Hintergrund Erdogan einen Konkurrenten ausschalten wollte, dass er unter Umständen Angst hatte vor Imamoglu“, so der ARD-Korrespondent Mayer-Rüth in der „tagessschau“.
Erdogan: Kritik an Verurteilung
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sieht das Politikverbot gegen den 52-Jährigen als „politisch kalkulierten Angriff“. Es zeige, dass die Regierung bereit sei, „Gerichte zu missbrauchen, um wichtige Oppositionelle an den Rand zu drängen oder zum Schweigen zu bringen“, betonte Tom Porteus, stellvertretender HRW-Programmdirektor.
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Das Auswärtige Amt hatte das Urteil gegen Imamoglu als „herben Rückschlag für die Demokratie“ verurteilt. Für Max Lucks (Grüne), Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag, zeige das Urteil „Erdogans Angst vor einer Wahlniederlage bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr“. Das Urteil sei „nichts Anderes als die Rache“ für Imamoglus Sieg bei der Kommunalwahl.