Louis aus Mülheim an der Ruhr hat einen seltenen Gendefekt, sitzt seit seiner Geburt im Rollstuhl. Für seine Familie ist das aber kein Hindernis, um mit dem Elfjährigen möglichst viel zu unternehmen. Dabei stoßen sie immer wieder auf Hindernisse, die ihnen den Alltag erschweren – vor allem beim Nutzen der öffentlichen Verkehrsmittel. Wir haben Louis, seine Mutter Julia Staszkiewicz (41) und seine Oma Bärbel Buschmann (71) am Mülheim Hauptbahnhof getroffen.
Es ist ein grauer Dienstagnachmittag Anfang Oktober. Der Mülheimer Hauptbahnhof ist zu dieser Tageszeit gut besucht. Menschen kommen von der Arbeit, wollen möglichst schnell nach Hause. Mitten in dem Getümmel stehen Julia und Bärbel mit Louis. An ihnen zieht das hektische Treiben vorbei, denn ums Schnellsein geht es ihnen nicht. Sie haben ganz andere Sorgen: Funktioniert der Aufzug? Wie komme ich mit dem Rollstuhl am besten in die Bahn?
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Gesperrte und defekte Aufzüge sind ein Problem
„Wenn wir mit Louis irgendwo hinfahren, müssen wir genau wissen, wie die Gegebenheiten sind. Einfach so drauflosfahren, ist nicht drin“, erklärt Julia. Die Mülheimerin fährt generell nicht häufig mit dem ÖPNV. Das überlässt sie lieber ihrer Mutter Bärbel. Als wir in der Bahnhofshalle stehen, berichtet Louis Großmutter davon, wie der Aufzug am Mülheimer Hauptbahnhof erst kürzlich kaputt und für einige Zeit gesperrt war. „So etwas ist ein dickes Problem“, betont sie, während wir gemeinsam in den Aufzug steigen.
In dem Aufzug am Mülheimer Hauptbahnhof ist Platz für drei Personen – und Louis im Rollstuhl. Eng ist es. Wir fahren nach oben zu den Zuggleisen.
An einem anderen Bahnhof in NRW kam es bereits vor, dass der Aufzug schlicht zu klein war. „Wir haben Louis mit dem Reha-Buggy nicht hineinbekommen“, schildert Julia. Dann musste der Weg über die Treppe gegangen werden. In solchen Momenten sind Julia und Bärbel auf fremde Hilfe angewiesen. „Die Tendenz ist eher, dass wir die Leute ansprechen müssen und um Hilfe bitten müssen. Es ist selten, dass die Menschen von sich aus auf uns zukommen. Aber wenn wir fragen, dann wird uns auch geholfen“, schildert Julia ihre bisherige Erfahrung.
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Mülheim: Stress kommt auf
Ist man erstmal an dem richtigen Gleis angekommen, gilt es in den Zug zukommen. Neben uns hält eine S-Bahn. Der Eingangsbereich der Bahn ist nicht auf einer Höhe mit der Bahnsteigkante, sondern tiefer gelegt. Heißt: Hier wäre es für Julia, Bärbel und Louis nicht ganz so einfach mit dem Einsteigen. „Ich würde voran gehen und Louis und den Rollstuhl quasi vorsichtig rückwärts in die Bahn schieben. Dann geht es einigermaßen“, weiß sich Oma Bärbel zu helfen.
Ist man dann im Zug oder der Bahn eingestiegen, stellt sich die große Frage: Wo parke ich den Rollstuhl? Wer schon einmal mit der Bahn unterwegs war, weiß: Besonders zu Stoßzeiten kann es dort sehr kuschelig werden.
„Das ist so ein Moment, wo bei mir Stress aufkommt, denn die Züge halten ja auch nicht für eine halbe Stunde. Das sind Momente, in denen man schnell sein muss. Dann ist man auch darauf angewiesen, dass Menschen einem helfen“, erklärt Julia. Denn: Oftmals sind die Plätze in der Bahn vollständig besetzt. Nach einer freundlichen Aufforderung würden die Menschen jedoch Platz für Louis und seinen Rollstuhl machen, so Julia.
Zu wenig Stellplätze in Busse
Als wir uns zu der Bushaltestelle am Mülheimer Hauptbahnhof bewegen, schildert Bärbel ein ähnliches Problem, wenn sie den Bus nutzen. Hier gibt es laut Bärbel häufig viel zu wenig Stellplätze für Rollstühle. „Diese Stellplätze sind auch schnell belegt mit beispielsweise Rollatoren“, sagt sie. Und auch in dieser Situation kann es zu Stress kommen. Oft fahren die Busfahrer nach dem Halten zügig wieder an. „Dabei muss ich den Rollstuhl erst mit vier Bremsen im Bus sichern. Das dauert. Dann habe ich auch Angst, dass ich im Bus umfalle. Manche Busfahrer fahren ja auch so, als würde es kein Morgen gäben.“
Während Bärbel das Problem schildert, hält ein Bus neben uns. „Hier zum Beispiel würden wir gar nicht hereinkommen. Der Busfahrer hat den Bus nicht genügend abgesenkt. Bei solchen Situationen gibt es von mir auch mal böse Blicke in Richtung Busfahrer“, verrät Bärbel mit einem Schmunzeln.
Große Problematik mit dem Wickeln
Doch natürlich lauern nicht nur an Bahnhöfen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln einige Herausforderungen. Louis wird mit Windeln versorgt. Er muss also regelmäßig gewickelt werden. Doch mit seinen elf Jahren ist Louis zu groß und zu schwer für die meisten Wickeltische. „Und auch mit Behindertentoiletten können wir selten etwas anfangen, weil es dort keine Wickelmöglichkeiten gibt“, erklärt Julia. Oft muss die Familie dann vor Ort nach einem Platz fragen, an welchem Louis gewickelt werden kann. „Es kam aber auch schon mal vor, dass wir Louis mit Sichtschutz auf dem Boden wickeln mussten.“
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Doch alle den Umständen zum Trotz. Julia ist dankbar. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie in einem Haus in Mülheim-Saarn. „Wir führen ein sehr gutes Leben. Ich sehe die Menschen, die uns im Alltag entgegenkommen, und meine zu lesen: ‚Oh mein Gott! Das ist ja ganz schlimm und den geht’s ja ganz schlecht und das ist kein Leben.‘ Nicht der arme Junge, dem geht es total gut. Natürlich haben wir unsere Probleme. Natürlich habe ich mir mein Leben anders gedacht Dann kam Louis und dann habe ich mein Leben neu gedacht.“