Joachim Stamp will weiter in NRW regieren. Im zweiten Teil des Interviews mit DER WESTEN formuliert der Chef der NRW-FDP dafür aber klare Bedingungen an mögliche Koalitionspartner.
Joachim Stamp kritisiert außerdem die Haltung reicher Erben in Bezug auf die Spritpreise. Über ein Thema will der NRW-Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration aber überhaupt nicht mehr sprechen.
Herr Stamp, der Krieg in der Ukraine und die Folgen der Corona-Pandemie sind für viele Menschen auch im Geldbeutel zu spüren. Lösen da Einmalzahlungen wie Corona-Boni oder temporäre Spritsteuersenkungen wirklich die Probleme?
Joachim Stamp: Ganz wichtig ist die Steuerreform, die Finanzminister Lindner für den Herbst ansteuert. Nämlich, dass dann auch die Lohnzuwächse nicht mehr aufgefressen werden vom Staat, sondern dass man die kalte Progression in den Griff bekommt.
Sie sprechen dabei aber ja noch viel mehr an und das ist die grundsätzliche Krisenresilienz unserer Gesellschaft. Und hier bin ich der Meinung, dass wir so schnell wie möglich eine Expertenkommission brauchen, die insgesamt aufarbeitet, was in den letzten zwei Jahren im Zusammenhang mit der Pandemie passiert ist, was die Zusammenarbeit der Ebenen angeht. Auch bei Fragen etwa der Flutkatastrophe oder auch, wenn man in eine Situation kommt, wo man innerhalb von kürzester Zeit zigtausend Menschen schützen muss. Und gerade bei Pandemie und Hochwasser hat sich gezeigt, dass vieles im Argen liegt – auch in der Kommunikation zwischen staatlichen Ebenen. Ich würde mir wünschen, dass man in Zukunft ebenübergreifende Krisenstäbe hätte, die dann auch ein gewisses Durchgriffsrecht haben. Wir wurden daran gemessen, wie schnell wir etwa Masken oder Tests bestellen, wo wir aber international ausschreiben mussten. Und die Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum es Tests bereits bei Lidl und Aldi an der Kasse gibt, aber der Staat noch keine Angebote hatte. Das sind Dinge, die gezeigt haben, dass die staatlichen Ebenen nicht in der Lage waren, schnell genug zu handeln.
Maskenpflicht, Lockdowns und Co. haben für reichlich Zündstoff gesorgt. Nicht nur in sozialen Netzwerken ist der Ton rau. Auch bei öffentlichen Auftritten bekommen Politiker reichlich Gegenwind zu spüren – zu sehen etwa bei Robert Habeck in Dortmund oder Olaf Scholz zuletzt in Düsseldorf. Hat die Politik ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Mein Eindruck ist, dass es an den Rändern immer schon eine gewisse Aggression gegeben hat. Und selbst bei Teilen aus der Mitte der Gesellschaft – einem unpolitischen Teil, der sich bei Einzelfragen radikal äußert. Und dass durch diese Krisen jetzt auch nochmal zusätzliche Ängste, aber auch Aggressionen freigesetzt worden sind. Auch ich werde im Netz jeden Tag beschimpft und bedroht. Diese Enthemmung müssen wir sorgfältig beobachten. Durch den harten Wettbewerb der Medien gelingt es uns als Politik aber auch immer schlechter, das Politikerklären zu transportieren. In vielen Beiträgen der Nachrichtensendungen gibt es oft nur noch die Chancen im Umfang von 12 bis 20 Sekunden zu Wort zu kommen. Das macht es schwer bis unmöglich, komplexe Themen zu erläutern. Das führt zu starken Vereinfachungen und damit verbunden auch zu einer sehr starken Polarisierung.
Die auch im aktuellen NRW-Wahlkampf durch die Parteien selbst befeuert wird: Stichwort „Mallorca-Affäre“, die sie im Interview mit der „WAZ“ als kleinkarierte Schlammschlacht bezeichnet haben. Aber glauben Sie nicht, dass die fehlende Transparenz der Beteiligten der Glaubwürdigkeit der Landespolitik grundsätzlich geschadet hat? Oder empfinden Sie das Thema im Wahlkampf generell als unangebracht?
Ich finde diese Schlammschlacht entsetzlich. Es ist wichtig, dass wir uns um die tatsächlichen Herausforderungen des Landes kümmern, die treiben mich um. Mir ist wichtig darüber zu sprechen: Wie wir zu einem bürokratiearmen Modell bei der Grundsteuer kommen. Das entlastet nicht nur Eigentümer, sondern auch Mieter bei der Nebenkostenabrechnung. Wie wir Talente noch besser fördern. Wie wir Wirtschaftswachstum und Innovation so hinkriegen, dass wir die Energiewende schnell schaffen. Das sind doch die zentralen Fragen, über die wir gemeinsam als Demokraten streiten sollten und nicht darüber, wer wann, vor irgendwelchen Jahren, mal mit irgendwem in Russland Kontakt gehabt hat. Das sollen aus meiner Sicht Parteihistoriker aufarbeiten, gehört aber nicht in den hiesigen Landtagswahlkampf.
Sie fordern also einen Blick auf Sachthemen. Welche Lehren hat die NRW-FDP aus der Pandemie gezogen?
Dass ich künftig gegenüber dem Koalitionspartner darauf bestehen würde, einen zusätzlichen Stab einzurichten, der sich ausschließlich mit Corona beschäftigt. Weil am Ende die Bildungsministerien Fragen des Gesundheitsbereichs austragen mussten. Denn natürlich sind weder mein Ministerium noch das Schulministerium darauf ausgerichtet, Gesundheitsmanagement zu betreiben.
Corona hat auch schonungslos die ausbaufähige Digitalisierung aufgedeckt – vor allem an Schulen. Was muss sich da in Zukunft ändern?
Wir wollen, dass jedes Kind ein mobiles Endgerät zur Verfügung hat. Wir wollen aber nicht nur in Hardware und ins Netz investieren. Sondern es geht auch um die Fortbildungen der Lehrerinnen und Lehrer. Vor allem diejenigen, die so alt sind wie ich, sind nicht unbedingt mit der Selbstverständlichkeit der Digitalisierung aufgewachsen. Und deswegen ist es ganz wichtig, dass sie Hilfestellung und damit auch Spaß an dem digitalen Unterricht bekommen können.
Ihre Parteikollegin Yvonne Gebauer musste für ihre Kurswechsel an Schulen viel Kritik einstecken. Können sie das nachvollziehen?
Die Änderungen kamen ja über die Ministerpräsidentenkonferenzen und das gilt auch für mein Ressort: Wir waren ja immer die Überbringer der schlechten Nachrichten und dann auch zum Teil sehr kurzfristig. Dort, wo wir selbst entscheiden konnten, haben wir immer darauf geachtet, die Bildungseinrichtungen, so gut es geht, offenzuhalten. Wir stellen die Bildungschancen der Kinder in den Mittelpunkt. Dazu haben wir uns immer eng abgestimmt mit den Kinderärztinnen und Kinderärzten und natürlich auch mit Wissenschaftlern. Aber noch einmal: Solche Fragen gehören in Zukunft in die Hände eines gesonderten Stabs.
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Ein anderer drängender Themenkomplex: Verkehr in NRW. Im WDR-Kandidatencheck haben Sie intelligente Konzepte für die Mobilität in ländlichen NRW-Regionen gefordert. Was meinen Sie damit konkret?
Wir sind ja noch ein Stück vom autonomen Fahren entfernt. Das wird uns in einigen Jahren ganz neue Möglichkeiten der Mobilität bringen. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch an der Stelle Infrastruktur erhalten und ausbauen. Was auch jetzt schon möglich ist, dass wir eine andere Bedarfssteuerung hinbekommen – gerade auch im ländlichen Raum. Über App-Lösungen, wo sich dann zum Teil auch die öffentlichen Verkehrsmittel am Bedarf orientieren. Wir wollen mehr kleine, elektrobetriebene Fahrzeuge auf Abruf ermöglichen, sodass wir dort eine bessere Anbindung hinbekommen. Denn es ist eine ganz wichtige Herausforderung, dass wir den ländlichen Raum mit seiner Infrastruktur stärken, damit nicht alle Menschen in die Stadt ziehen. Und im ländlichen Raum sind die Menschen darauf angewiesen, dass sie mit einem Auto von a nach b kommen, was man aber stärker an den Bedarf koppeln kann.
Wir dürfen aber im Übergang zur Elektromobilität diejenigen nicht im Stich lassen, die noch auf Verbrennungsmotoren angewiesen sind. Wenn jemand, der umfassend geerbt hat, öffentlich verkündet: ‚Wenn die Benzinpreise steigen, dann solle man doch einfach das Auto stehen lassen‘, dann mag das für sie oder ihn selbst ohne Probleme möglich sein. Aber das gilt nicht für die Verkäuferin, die sich die Stadtwohnung nicht leisten kann und die von außerhalb möglicherweise 25 bis 30 Kilometer einpendeln muss. Ihr gegenüber ist das zynisch.
Wir wünschen uns zudem eine App aller Verkehrsverbünde mit einem Tarif für ganz NRW. Das muss unbürokratischer werden. Und wenn es unbürokratischer wird, dann wird es auch preisgünstiger.
Warum nicht gleich den ÖPNV-Flickenteppich aufknüpfen und auf einen gemeinsamen NRW-Verkehrsverbund setzen?
Wir wollen die Verkehrsverbünde-Struktur auf den Prüfstand stellen. Wenn wir die Energiewende gestalten wollen, dann werden wir auch alte Zöpfe abschneiden müssen. Und dann müssen wir auch Dinge, die sich in der Vergangenheit als Hemmschuh erwiesen haben, konsequent hinterfragen. Wir sind in vielen Bereichen zu überreglementiert.
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