Wie lange müssen deutsche Arbeitnehmer arbeiten? Mit dieser Frage befassen sich nicht nur die Beschäftigten selbst, sondern vor allem auch viele Politiker. Denn das deutsche Rentensystem ist vom demographischen Wandel bedroht.
Immer mehr junge Menschen müssen die Renten von immer mehr Ruheständlern stemmen. Vor allem wenn die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, in Rente gehen. Und viele von ihnen wollen sogar noch früher in den Ruhestand, wie eine Studie zeigt. Doch wird das zum großen Problem für die Alterssicherung – gerade für die jüngere Generation?
Rente: „Was, du arbeitest noch?“
68 Prozent der Arbeitnehmer aus der Babyboomer-Generation wollen mit spätestens 64 Jahren in Rente gehen, zeigt die repräsentative Studie „lidA – leben in der Arbeit“, die dem ARD-Magazin „Panorama“ vorliegt. „Unser Hauptbefund ist, dass unter den Babyboomern eine ausgeprägte Kultur des Frühausstiegs herrscht“, sagt Studienleiter Hans-Martin Hasselhorn von der Bergischen Universität Wuppertal.
„Der frühe Erwerbsausstieg ist die Norm und viele Personen, die 63, 64 oder 65 Jahre alt sind und noch in Arbeit stehen, kennen es, dass man sie ganz erstaunt fragt: ‚Was, du arbeitest noch?'“ Vor allem viele der jüngeren Babyboomer (Jahrgang 1965) wollen früh in Rente gehen. Nur rund ein Drittel wolle bis 64 arbeiten. „Der häufigste Grund ist, dass die Menschen mehr freie Zeit haben möchten“, sagt Hasselhorn.
„Dies ist ein wichtiger Aspekt der Selbstbestimmung bei der Arbeit, den wir ganz oft in der Studie finden“, so der Leiter weiter. Und: Selbst ein erfüllender Beruf und gutes Einkommen führen nicht dazu, länger arbeiten zu wollen. Denn, so Hasselhorn, in Frührente wollen alle, nicht nur die, die aus körperlicher Erschöpfung nicht mehr können.
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Vor allem Menschen mit geringem Einkommen und die, die unter der Armutsgrenze leben, sind bereit, lange zu arbeiten. Aber: Dieses „länger arbeiten wollen“ ist wohl eher ein „länger arbeiten müssen“, so Hasselhorn. Diese Gruppe habe mit Abstand die kürzeste Lebenserwartung von allen Einkommensgruppen.
Rentensystem in Gefahr?
Wenn die geburtenstarken Jahrgänge also früher als geplant aus dem Berufsleben ausscheiden, wären noch mehr Menschen in Rente. Immer weniger Beitragszahler müssten dann für immer mehr Rentner aufkommen. Wird das also zum Problem für das Rentensystem?
„Ein Trend zur Frühverrentung lässt sich aus unseren Daten bisher nicht erkennen“, teilt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auf Anfrage dieser Redaktion mit. So haben sowohl 2021 als auch 2022 rund 58 Prozent eine vorgezogene Altersrente erhalten.
Und das durchschnittliche Alter, in dem Altersrenten erstmalig in Anspruch genommen wurden, sei sogar spürbar gestiegen. Im Jahr 2021 lag es laut DRV bei 64,1 Jahren, im vergangenen Jahr bei 64,4 Jahren. „Zwischen 2000 und 2022 ist das durchschnittliche Alter um 2,1 Jahre gestiegen.“
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Für die DRV ist vor allem die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten für die Rente von Bedeutung. Die sei in den letzten Jahren auch stark angestiegen. „Mit der Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen zum 1. Januar 2023 wurden Anreize geschaffen, diesen Trend weiter zu verstärken“, so die Rentenversicherung.
„Wir gehen davon aus, dass die Maßnahme einen Beitrag leisten kann, dem bestehenden Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken“, teilt dazu auch das Bundesarbeitsministerium bei „Panorama“ mit. Um das Rentensystem zu stabilisieren, solle künftig auch die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Zuwanderern noch weiter erhöht werden, so die DRV.