Zwanzig Jahre regiert Recep Tayyip Erdoğan bereits die Türkei, jetzt kommen fünf weitere Jahre dazu. In der Stichwahl von Sonntag (28. Mai) konnte sich der türkische Machthaber gegen seinen Kontrahenten Kemal Kılıçdaroğlu durchsetzen. Das Endergebnis: 52,2 zu 47,8 Prozent der Stimmen.
Bei seiner Vereidigung am Samstag (3. Juni) stimmte Erdoğan allerdings ganz neue Töne an. So solle man den Ärger des Wahlkampfes hinter sich lassen, die Türkei brauche eine umfassende Versöhnung. Auch betonte er, dass er nun ein Präsident für alle sein werde. Wird jetzt alles ganz anders?
Erdogan besetzt Kabinett neu
Eine mögliche Kehrtwende in der türkischen Politik zeigt die Umstrukturierung des Kabinetts durch Erdoğan. Das tauschte der 69-Jährige nahezu komplett aus – ausgenommen die Posten des Gesundheits- und des Kulturministers.
Bei der Umstrukturierung gab es gleich mehrere Überraschungen:
- Der rechtsradikale Innenminister Süleyman Soylu wird durch den Bürokraten Ali Yerlikaya ersetzt
- Mehmet Şimşek kehrt als Finanzminister zurück
- Hakan Fidan wird Außenminister
Der bisherige Innenminister Soylu gilt als anti-westlicher Hardliner. Nun muss der Liebling türkischer Nationalisten seinen Platz für den bisherigen Gouverneur von Istanbul, Ali Yerlikaya, räumen.
Erdogan hofft auf Stabilität
Dass Erdogan Şimşek als Finanzminister einsetzt, gleicht einem Schuldeingeständnis. Denn Erdoğans startete in seiner ersten Amtszeit als Präsident eine eigene Finanz- und Wirtschaftspolitik. Und das, obwohl Şimşek bis 2018 fast zehn Jahre als Finanzminister tätig war.
Mit der Ernennung seines Schwiegersohns Berat Albayrak zum Wirtschaftsguru der Regierung begann der Absturz mit Mega-Inflation und Währungskrise. Şimşek will die Türkei nun aus dieser Krise befreien, gilt in Finanzkreisen anerkannt.
Während Şimşek also für Ruhe und Stabilität im Wirtschafts- und Finanzbereich sorgen soll, soll Hakan Fidan für eine Stabilisierung der Außenpolitik sorgen. Fidan gilt als einer der engsten Vertrauten Erdoğans, war seit 2010 Chef des türkischen Geheimdienstes.
Erdogan: „Clown und Schläger sind verschwunden“
Erdoğan erhofft sich mit der Neubesetzung, den Streit mit dem Westen beilegen zu können. Bei außenpolitischen Terminen des türkischen Machthabers war Fidan bereits oft mit von der Partie. Insgesamt befindet sich nur eine Frau unter den 18 Kabinettsmitgliedern – Mahinur Göktas ist für Familie und Soziales zuständig.
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Das von Erdoğan neu zusammengestellte Kabinett wird von westlichen Türkei-Experten positiv gewertet. Timur Kuran, Professor für Wirtschaft und Politikwissenschaft an der US-Universität Duke, schreibt beispielsweise auf Twitter: „Der Clown und die vielen Schläger sind verschwunden. Die Schlüsselpositionen sind nun mit Fachleuten besetzt.“
Weiter betont er aber auch: „Nur wenige, wenn überhaupt, der Minister werden die Regimegegner von der säkularen Mitte-Rechts oder der Linken zufrieden stellen. Aber im Vergleich zu ihren Vorgängern haben viele ein gemäßigteres Profil.“ Auch könne man die Neubesetzungen pessimistisch sehen, da Erdogan das Image seines Regimes als taktischen Rückzug abmildere, so Kuran.