„Du gehörst mir“, das ist der Titel des neuen Magdeburger „Polizeiruf 110“ und damit auch das Ende der quälend langen Sommerpause, die die ARD den treuen Krimi-Fans jedes Jahr aufs Neue „zumutet“. Und es ist ein hochspannender, nervenzerreißender Krimi, mit dem die Sommerpause endet.
In „Du gehörst mir“ geht es um eine Entführung. Ein Baby wird am helllichten Tag, mitten in einer Fußgängerzone mitsamt Kinderwagen gestohlen. Es beginnt ein Katz- und Maus-Spiel, bei dem auch Kriminalrat Uwe Lemp zwischen die Fronten gerät. Wir haben mit Lemp-Darsteller Felix Vörtler über seine Rolle, Verlustängste und die Gehälter bei „Polizeiruf 110“ und „Tatort“ gesprochen.
Im neuen ‚Polizeiruf 110 – Du gehörst mir‘ wird Uwe Lemp kurz vor Abflug nach Schottland niedergeschlagen und gegen seinen Willen eingesperrt. Wie sauer waren Sie, dass man Ihnen das Sabbatical versaut hat?
Ich konnte ja gar nicht sauer sein, dazu war es schlicht zu überraschend (lacht).
In dem Fall geht es um eine Kindesentführung. Sie haben selbst Kinder. Können Sie sich in die Lage der Mutter hineinversetzen?
Nicht wirklich. Ich kann mir nur ausdenken, wie das ist. Hannah Schiller (Anm. d. Red.: Spielt die Rolle der Lana Stokowsky) hat das ja ganz toll gespielt. Diese bodenlose Ungehörigkeit, die sie empfindet. Sie ist ja nicht nur verzweifelt. Ich kann verstehen, wie sie es macht, aber es wäre vermessen zu behaupten, ich könnte sie verstehen. Also nicht, dass man eine junge Mutter sein muss, um Verlustängste zu spüren. Aber in diesem Fall ist es ja viel krasser.
Ich kann vielmehr begreifen, was bei Inga Werner (Anm. d. Red.: Die Entführerin), also Franziska Hartmann passiert. Dass jemand einfach aussetzt, dass das Gehirn und das normale Gefüge aussetzen, das ist schon faszinierend.
Haben Sie als Vater niemals Verlustängste bezüglich ihrer Kinder spüren müssen?
Meine Kinder sind alle aus dem Haus. Ich kann mich nur noch schwer daran erinnern. Die Phasen, in denen es nicht geklappt hat, die verdrängt man glücklicherweise. Und so ist alles ganz toll gelaufen, weil es insgesamt gut gegangen ist. Eigentlich kann man sich die Situation, in die meine Figur hineingeraten ist, ganz leicht erklären. Geisel, gefesselt, ich versuche herauszukommen … Nein. Das war auch so ein Ding. Ich habe währenddessen erst erfahren, was das für ein Auf und Ab für mich wird.
Inwiefern?
Auf der einen Seite muss man taktieren, auf der anderen Seite eine Nähe aufbauen, die nicht gelogen ist. Gleichzeitig aber auch eine überlebenswichtige Brutalität für einzelne Momente entwickeln. Ich sehe das ganze fast wie eine Liebesgeschichte. Wobei eine Liebesgeschichte irreführend wäre, aber so war es für mich als Anlage leichter zu greifen.
Hatten Sie Mitleid mit der Figur der Inga Werner?
Man wird mitgerissen. Mitgefühl, absolute Wut. Man wird aggressiv, wenn man sieht, was sie macht, und auch wie sie es macht. Aber für sie ist es ja ihr Kind. Ich sehe in diesem Film ausschließlich Opfer. Für mich war es eine irre Reise. Das bekommt man nicht oft zu spielen.
++ „Tatort“-Star ChrisTine Urspruch: „Da steht nicht mehr Alberich“ ++
Wie meinen Sie das?
Ich bin sehr gut vorbereitet gewesen, aber ich habe nicht alles zehnmal durchgespielt. Ich wollte gucken, was ich denn von außen bekomme. Franziska Hartmann hat mir mehr gegeben, als ich mir hätte erträumen können. Ich musste im Grunde nur reagieren.
Bedeutet das, sie haben freie Hand bekommen?
Dazu war das Buch zu gut, dass man sich davon zu weit entfernt hätte. Inhaltlich also nicht. Spielerisch wohl. Beispielsweise in den Szenen, in denen ich geknebelt wurde. Ich habe darauf bestanden, dass ich da wirklich nicht rauskam. Was ich tue, tue ich echt. Einmal habe ich fast diesen Lappen verschluckt. In der Szene konnte ich mich aber nicht bewegen, und so ist es einfach passiert. Aber ich habe es auch darauf angelegt. Ich habe das wirklich nicht genossen, zumal ich unter Platzangst leide, aber es war natürlich toll sich dem zu stellen. Ich bin manchmal einfach ins Schwitzen gekommen. Ich habe mich in den Momenten gar nicht bewegt, aber ich war klitschnass. Es war eine tolle Reise, auch wenn sie keinen Spaß gemacht hat.
Würden Sie sich als Method-Actor beschreiben?
Nein, das nicht. Es kommt auf das Projekt an. Ich habe mich einmal auf eine Rolle im Theater so eingelassen, habe einmal so in diesen Abgrund geguckt, dass ich als junger Schauspieler zwei, drei Tage lang das erste Mal einer Depression begegnet bin. Da habe ich mich etwas zu weit heraus gelehnt und hatte nicht den Regisseur, der das aufgefangen hat. Man kann auch zu weit gehen.
Wie haben Sie sich davon erholt?
Ich habe mich gut erholt. Aber ich war erstaunt, dass ich mich zwei, drei Tage nicht im Griff hatte. Ich weiß noch, dass meine Frau mich gefragt hat, was mit mir los war. Sie sagte mir: ‚Du redest seit acht Stunden kein Wort. Ich habe dich vorhin gehauen und du hast nicht reagiert.‘
Das ist jetzt 35 Jahre her. Heute lasse ich mich nur noch fallen, wenn ich Vertrauen habe.
Stellen wir uns vor, Sie wären Richter. Welche Strafe sollte Inga Werner bekommen?
Da gibt es meines Erachtens keinen Maßstab. Das ist jetzt eine persönliche Meinung. Wer bitte will über so jemanden richten? Das geht nicht. Sie lebt in ihrer Strafe. Es ist so eine Katastrophe, die dieser Frau passiert ist. Ich habe kein Verständnis dafür, keine Frage. Aber ich könnte nicht sagen: Die muss ins Gefängnis. Für sie ist der Verlust ihres Kindes schon der Horror. Dass sie niemanden hatte, mit dem sie es verarbeiten konnte. Im Gegenteil: Sie musste ihrer Mutter vorspielen, dass alles fantastisch ist. Ich wüsste keine Strafe.
Der Polizeiruf endet abrupt. Inga Werner wird festgenommen. Doch wie geht es mit Ihrer Figur weiter? Sie sind schwer verletzt. Ist das Sabbatical gestorben?
Das Sabbatical ist gestorben. Er ist nicht drei Wochen später los gereist (lacht). Wir erzählen im Polizeiruf relativ wenig horizontal. Nichtsdestotrotz kann man nach diesem Fall nicht so tun, als wäre nichts geschehen und ich sitze in der nächsten Folge einfach morgens im Büro.
Wir haben uns Gedanken gemacht, wie es weitergeht. Ich glaube, so eine Geschichte bringt auch einen Profi an seine Grenzen. Ich weiß nicht, ob es ihn aus der Bahn wirft, aber ich glaube, dass er nicht einfach so weitermachen kann.
Sie haben „Tatort“ und „Polizeiruf“-Erfahrung. Wo sehen Sie die Unterschiede zum Polizeiruf?
Ich sehe da keine Unterschiede. Außer, dass der ‚Polizeiruf‘ die Ost-Historie hat. Früher hatten sie viel mehr Färbung. Diese Trennung Ost und West. Das gibt es heute gar nicht mehr.
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Ihre Polizeiruf-Kollegin Anneke Kim Sarnau sagte zuletzt, dass der „Tatort“ mehr Geld bekomme.
Da hat sie mehr Informationen als ich. Das kann sein. Aber meine Gage ist dieselbe, ob ich jetzt im ‚Polizeiruf‘ oder im ‚Tatort‘ arbeite. Es kann natürlich sein, dass die Produktion blutet, weil ich so viel Geld bekomme (lacht). Nein, so viel verdiene ich gar nicht.