Diktator Baschar al-Assad war kaum aus Syrien geflohen, da feierten am Sonntagabend (8. Dezember) auch in Essen mehr als 10.000 Menschen den Umsturz in dem 3500 Kilometer entfernten Land (wir berichteten). Zeitgleich brachten deutsche Politiker bereits Rückkehr-Programme für syrische Flüchtlinge ins Gespräch.
Ali Sabsabi sitzt quasi zwischen diesen Stühlen. Jubel über die ersehnte Befreiung seines Heimatlandes von dem brutalen Assad-Regime. Der Gedanke, eines Tages zurückzukehren. Aber auch: das Leben in Deutschland, wo er Arbeit gefunden hat und gerade eine Familie gründet. Jetzt nach Syrien, wie vor allem CDU-Politiker es sich wünschen? Der Essener Ali Sabsabi hat erst einmal andere Überlegungen.
Essen: OB Kufen bringt Rückkehrprogramm ins Gespräch
Bund und Land müssten Vorbereitungen für ein freiwilliges Rückkehrprogramm treffen, erklärte der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen am Montag (>>> hier die Einzelheiten). Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, wurde schon deutlich konkreter. Seine Idee: 1000 Euro Handgeld und ein Charterflug in die Heimat.
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Aber was denken und fühlen aktuell die geflüchteten Menschen aus Syrien? Knapp 11.000 von ihnen leben in Essen. DER WESTEN sprach mit Ali Sabsabi, 32 Jahre alt, geboren in Aleppo. Die Stadt mit einst mehr als 2 Millionen Einwohnern war das wirtschaftliche Zentrum Syriens, bis Assads Truppen für Leid und Zerstörung sorgten.
Ali Sabsabi (32) desertierte 2012 aus der syrischen Armee
Ali Sabsabi sollte selbst diesen Truppen angehören. „Im Jahr 2010 wurde ich gezwungen, der syrischen Armee beizutreten, doch 2012 desertierte ich“, berichtet der junge Mann gegenüber unserer Redaktion. „Ich lebte in Aleppo bis 2015, als wir während der letzten Belagerung aus der Stadt vertrieben wurden.“ Während seiner Familie die Flucht nach Deutschland gelang, blieb er selbst zunächst in der Türkei zurück, kam drei Jahre später nach.
Seither hat er sich bemüht, sich in Essen eine eigene Perspektive aufzubauen. Seit zwei Jahren arbeitet Ali als Logistikfahrer beim Paketdienst GLS. Mit dieser Sicherheit im Rücken möchte er eine eigene Familie gründen: „Vor drei Monaten habe ich geheiratet. Und meine Frau ist schwanger.“ Während Politiker in Essen, Düsseldorf und Berlin über „Rückkehr“ sprechen, betont der 32-Jährige: „Ich lebe gerne in Deutschland. Aber es fällt mir schwer, hier eine Wohnung zu finden.“
Rückkehr von Essen nach Syrien, wenn es demokratische Wahlen gibt
Ungeachtet dessen sind Ali Sabsabi und seine Familie überwältigt von den Ereignissen in der Heimat: „Wir waren überglücklich, als die Nachricht vom Sturz des Assad-Regimes bekannt wurde, da dies Syriens Befreiung von diesem Diktator bedeutet.“ Aus den Worten des baldigen Familienvaters lässt sich heraushören, wie zerrissen er ist zwischen der Sehnsucht nach Syrien einerseits und der sicheren Perspektive andererseits, die er sich in Deutschland erarbeitet hat. „In der Zeit, in der ich bis 2015 in der Stadt Aleppo lebte, habe ich freiwillig in Wohltätigkeitsorganisationen gearbeitet. Jetzt bin ich sehr glücklich über den Sturz Assads und möchte nach Syrien zurückkehren“, erklärt Ali, schiebt aber sofort hinterher: „Derzeit ist eine Rückkehr nicht möglich.“
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Die aktuell große Unsicherheit nach dem Umsturz und die Ungewissheit, in welche Richtung sich das Land politisch und gesellschaftlich entwickeln wird, beschäftigen den Essener sehr. Fragen und Aspekte, die deutsche Politiker offenbar hinten anstellen, stehen für Ali Sabsabi klar im Vordergrund, wie er betont: „Wir warten auf die Bildung einer Regierung, die Etablierung einer demokratischen Regierung und die Durchführung demokratischer Wahlen. Und erst dann werden wir nach Syrien zurückkehren.“
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Seit sechs Jahren lebt Ali Sabsabi in Deutschland, seine Familie noch drei Jahre länger. Jetzt Hals über Kopf die Koffer zu packen, ist für ihn keine Option – vielleicht jedoch in der Zukunft. „Wir sind glücklich in Deutschland und hoffen, dass sich die Situation in unserem Land verbessert.“