Am 9. Juni steht die Europawahl 2024 an. Durch die Sorge vor einem rechten EU-Parlament hat sie allerdings einen bitteren Beigeschmack. Nicht nur die AfD hält sich weiter bei vielen Wählerinnen und Wählern aufrecht. Auch in Ländern wie Finnland, Frankreich und Italien werden rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien immer stärker.
Über den Rechtsruck zur Europawahl sprach unsere Redaktion mit Linke-Politiker Gregor Gysi, der zusammen mit dem EU-Spitzenkandidaten Martin Schirdewan in Hannover Halt gemacht hat. Gysi macht im Gespräch deutlich, dass Parteien im Kampf gegen Rechts das Vertrauen der Bevölkerung schnellstmöglich wiedergewinnen müssen. Dafür hat er schon konkrete Ideen.
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Europawahl: Gregor Gysi über drohenden Rechtsruck
Redaktion: Herr Gysi, hat Sie eine Kandidatur für das Europäische Parlament nie gereizt?
Gysi: „Nicht sonderlich, ehrlich gesagt, weil es völlig anders strukturiert ist. Früher hatte es auch nicht das Gewicht. Das hat sich inzwischen allerdings geändert, weil die Abgeordneten immer mehr entscheiden. Es passte auch meistens nicht so richtig, wenn man als Mitglied im Bundestag dorthin wechselt. Ich bin auch nicht sehr in Fremdsprachen begabt. Dafür habe ich Mitglieder überzeugt, die schon ein paar Sprachen sprechen konnten, weil dann die Verständigung viel leichter und besser ist. Aber ich mag Brüssel und Straßburg, das war nicht das Thema.“
Gregor Florian Gysi
- geboren am 16. Januar 1948 in Berlin
- deutscher Rechtsanwalt, Politiker, Autor und Moderator
- sitzt seit 1990 mit einer Unterbrechung im Deutschen Bundestag
- von 2005 bis 2015 war er Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion
In der AfD-Hochburg Thüringen konnte die Partei im ersten Wahlgang keine Landratsämter und Rathäuser gewinnen. Gehen Sie nun davon aus, dass wir auch beim drohenden Rechtsruck in der Europawahl beruhigter sein können?
„Ich glaube, die AfD hat mit ihrem Spitzenkandidaten bei der Europawahl einen Fehler begangen. Zwar lassen sich die Wählerinnen und Wähler der AfD nur schwer abbringen, aber ich glaube, die SS-Aussagen von Maximilian Krah schaden der AfD.
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Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen. Viele wählen die AfD, um uns andere zu treffen. Das machen sie auch weiterhin. Und es gibt auch einen Anteil, der wirklich eher rechtsextrem orientiert ist. Was uns Sorgen machen sollte, ist, dass wir eine solche rechte Entwicklung in Italien und Ungarn haben. Wir haben sie auch in Frankreich mit Le Pen, aber auch mit Trump in den USA. Das macht mir alles schon Sorgen.
Und wir haben nicht mal einen Gesprächskreis von CDU/CSU bis zur Linken, in dem man sich mal Gedanken macht, wie man Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen kann.“
Wie bekommt die Politik das Vertrauen zurück?
Haben Sie denn eine konkrete Idee dafür, wie man das Vertrauen wiedergewinnen kann?
„Ja! Erstens müssen wir eine andere Sprache sprechen. Wir dürfen nicht von einer ‚Veräußerungserlössteuer‘ sprechen und uns damit abfinden, dass 95 Prozent der Bevölkerung komischerweise gar nicht weiß, was das ist. Sondern man muss das klarer übersetzen.
Zweitens: Wenn Sie politische Entscheidungen treffen, müssen Sie ihre wahren Beweggründe mitteilen und nicht eine Argumentation, von der Sie meinen, dass sie am ehesten von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Diese entwickelt dann aber einen Instinkt dafür, dass das gar nicht die wahren Gründe sind.
Drittens muss die Selbstbedienungsmentalität aufhören. Ich habe nichts dagegen, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die Beamtinnen und Beamten und die Pensionäre einen Inflationsausgleich von 3000 Euro bekommen. Aber dass es die einzigen sind, die ihn in dieser Höhe bekommen, ist natürlich schon stark. So was alles zerstört Vertrauen immer wieder, und das ist nicht gut.“
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Haben die AfD-Skandale rund um Maximilian Krah und Petr Bystron nicht sogar das Interesse an der Europawahl angekurbelt?
„Ja, das kann sein. Wenn so etwas los ist, kümmert man sich eher darum und sagt ‚vielleicht muss ich doch mal wählen gehen‘. Die Zurückhaltung, nicht wählen zu gehen, sich nicht damit zu beschäftigen, überzeugt mich nicht. Damit sollte man sich beschäftigen und seine Entscheidung treffen.“
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