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Auf der letzten Meile, was besser klingt als „auf den letzten 1,6 Kilometern“, wird es gerne mal eng: Der klobige Lieferwagen parkt neben dem voll besetzten Parkstreifen, also mitten auf der Straße, das Warnblinklicht geht an und ein sichtbar unter Zeitdruck stehender Mann hüpft aus dem Fahrerhaus, hetzt zur Schiebetür, reißt sie auf, packt sich eines der Pakete und ist verschwunden. Was für jeden Fahrer von Paketdiensten Alltag ist, bringt viele Autofahrer noch immer in Rage. Je nachdem, auf welcher Straße das gerade geschieht, ob sie zwei oder vier Spuren hat und wie dicht der Verkehr ohnehin schon ist, reichen zwei, drei Minuten Paketdienstparkerei für einen hübschen Rückstau.
Zumindest in einigen Innenstädten von NRW will das ein großer Paketdienst versuchsweise ändern: UPS hat mit dem Land NRW vereinbart, in den kommenden drei Jahren in sechs Städten den Betrieb von elektrischen Lastenfahrrädern zu testen. Die letzte Meile soll hier künftig beliefert werden, ohne CO2 auszustoßen. Und ohne regelmäßig zum Verkehrshindernis zu werden.
Groschek: Blaupause für NRW
Die Amerikaner hoffen Vorreiter zu sein, bevor etwaige neue Gesetze zu mehr Emissionsschutz in den Innenstädte zwingen. An seinem Logistikzentrum in Herne hat UPS bereits mit dem Experiment begonnen. Nun wird es in NRW ausgerollt auf die ohnehin staugeplagten Innenstädte in Dortmund, Bochum, Düsseldorf, Köln und Bielefeld. Das vereinbarten UPS-Deutschlandchef Frank Sportolari und NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD). Der hofft, „dass wir eine Blaupause für weitere Städte schaffen“, wie er dieser Zeitung sagte.
Was so einfach klingt, hätten freilich alle größeren Paketdienste längst überall gemacht, wenn es denn so einfach wäre. Der Umstieg vom Transporter aufs Rad erfordert eine ganz andere Logistik. Der Fahrer lädt nicht in Herne seinen Lkw voll und fährt dann den Tag lang durchs Revier, sondern er hat mit seinem E-Bike einen begrenzten Radius und vor allem eine für Pakete überschaubare Ladefläche. Für seine City-Belieferung per Rad benötigt UPS daher „Mikro“-Depots, die er immer wieder ansteuert, um die nächste Ladung zu holen. Für diese Depots, etwa in Gestalt von Containern, müssen in allen Städten geeignete, zentrale Standorte gefunden werden.
Um solche Fragen zu klären, kündigte Minister Groschek eine „Akteurskonferenz“ mit allen Beteiligten nach den Sommerferien an. Dann sollen auch Hersteller von professionell zu nutzenden E-Lastenrädern am Tisch sitzen. Genügend Räder zu besorgen, könnte die größte Herausforderung werden. Zwar boomt der Markt für E-Bikes im Freizeitbereich seit Jahren, bei Lastenrädern mit elektrischem Hilfsantrieb sieht es dagegen noch sehr dünn aus, einen echten Wettbewerb von Massenherstellern gibt es bisher nicht. Groschek würde gerne Fahrradbauer aus NRW ins Projekt holen, sie müssten UPS aber die gewünschten Stückzahlen verlässlich liefern können.
In Herne hat UPS mit einem elektrischen und einem herkömmlichen Lastenrad begonnen, wie man es auch von den Postboten kennt. Gestartet wird auf recht bescheidenem Niveau: Bis zu 250 Pakete sollen zwei Fahrer in Herne zunächst täglich ausliefern. Vollverkleidete Modelle mit starken Batterien könnten deutlich mehr Pakete fassen und wären zudem wetterfest. „Das wird ein schnell wachsender Markt sein, ich fände es gut, wenn NRW-Anbieter dabei wären“, sagte Groschek.
Neu ist der Lieferservice per Lastenfahrrad freilich nicht, in der Paketbranche aber noch recht jung. UPS testet seine „Cargo Bikes“ seit 2012 in Hamburg, dies offenbar mit so großem Erfolg, dass nun die Ausweitung auf das bevölkerungsreichste Bundesland ansteht. Nächster Testort war Basel. Das Projekt in den sechs NRW-Städten ist zunächst auf drei Jahre ausgelegt. Es sei aber möglich, weitere Städte auch während dieser Zeit einzubeziehen, wenn die Voraussetzungen stimmen, so Groschek.
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft begrüßte das Projekt jüngst bei einem Treffen mit Vertretern von US-Unternehmen, darunter UPS-Manager Sportolari. Sie betonte darüber hinaus die wachsende Bedeutung des Zweirads und verwies auf die Radautobahn im Ruhrgebiet, die viele belächelt hätten, als das Projekt angestoßen wurde: „Jetzt stehen wir davor und sehen, sie wird genutzt.“