Ursula Gather, Rektorin der TU Dortmund, sieht Nachholbedarf bei Firmengründungen. Aber: „Die Schere schließt sich.“ Ein Interview.
Dortmund.
Die Zahl der gewerblichen Existenzgründungen in NRW ist zuletzt geschrumpft. Im vergangenen Jahr waren es rund 69 500 – fast sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Ein Forum an der TU Dortmund befasst sich mit dem Thema. Uni-Rektorin Ursula Gather, die auch Vorsitzende des Kuratoriums der Krupp-Stiftung ist, verweist im Gespräch mit Ulf Meinke auf die Chancen des Ruhrgebiets in Sachen Gründungen.
Viele Studenten wollen Staatsdiener werden. Glaubt man einer Umfrage von Ernst & Young, dann ist ein Leitgedanke junger Akademiker: Risiko, nein danke. Als besonders interessante Branche nennen drei von zehn Studenten den öffentlichen Dienst. Fehlt es an Gründergeist in Deutschland?
Urusla Gather: Es gibt bei der Zahl der Gründungen in Deutschland sicherlich noch Luft nach oben, aber schlecht ist die Lage im Ruhrgebiet nicht: 60 Prozent der Absolventinnen und Absolventen unserer Universitäten und Hochschulen treten eine Stelle in der Region an, viele machen sich selbstständig. Gerade das TechnologieZentrumDortmund ist seit seiner Einrichtung im Jahr 1985 eine Erfolgsgeschichte auch von Gründerinnen und Gründern: Mit 280 Unternehmen und 8500 Arbeitsplätzen entstand der größte Technologiepark in ganz Deutschland.
Die Selbstständigen-Quote in NRW und im Ruhrgebiet liegt seit einiger Zeit unter dem bundesweiten Durchschnitt. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Gather: NRW und besonders das Ruhrgebiet waren über Jahrzehnte geprägt von der Schwerindustrie und großen Konzernen mit Tausenden von Beschäftigten. Aus dieser Historie entwickelt sich erst langsam eine Gründungskultur. So haben wir bei der Zahl von Gründerinnen und Gründern zwar Nachholbedarf, doch die Schere schließt sich. Wir selbst zeigen unseren Studierenden mit verschiedenen Formaten auf, dass eine Selbstständigkeit eine attraktive berufliche Perspektive darstellt. Dazu tragen viele Initiativen bei, zum Beispiel auch unser Projekt „tu-startup“, das jährlich bis zu 30 Gründer auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit begleitet.
Hinkt das Ruhrgebiet in Sachen Gründungen im Vergleich zu Berlin, Hamburg und München hinterher?
Gather: Der Unternehmergeist weht auch im Ruhrgebiet. Wir müssen in einigen Bereichen aufholen, zum Beispiel bei den Dienstleistungen: Städte mit Sitzen von Bundes- und Landesregierungen haben hier strukturelle Vorteile. Mit einem Fokus auf technologiebasierte Start-ups in NRW, zum Beispiel der Produktionswirtschaft und Logistik, haben wir Stärken und Potenziale, die andere Standorte nicht haben. Gleiches gilt für unsere Chemische Biologie und für das Feld Biomedizin. Auch der Bereich Modellbildung und Simulation der TU Dortmund, in dem unter anderem Ingenieure, Mathematiker, Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler erfolgreich zusammenarbeiten, ist ein zukunftsträchtiges Aufgabenfeld für Gründer aus der IT-Branche.
Eine Festanstellung bei Konzernen wie RWE, ThyssenKrupp oder der RAG war für viele Fachkräfte in der Vergangenheit augenscheinlich attraktiver als eine Firmengründung mit ungewissem Ausgang. Wie beurteilen Sie die Rolle der großen Unternehmen heute?
Gather: Natürlich sind die großen Unternehmen attraktive Arbeitgeber. Aber die Tatsache, dass diese viele Randaktivitäten an externe Firmen übergeben, birgt eine Chance für Gründerinnen und Gründer, hier ihr Spezialwissen Spezialwissen einzubringen und so die Grundlage für eine selbstständige Existenz zu legen.