Seit dem 1. Dezember steht Werner Müller an der Spitze der RAG-Stiftung. Wir sprachen mit ihm über das Revier, den Chemiekonzern Evonik und das Wohnungsunternehmen Vivawest, das Müller nicht an „Immobilienhaie“ ausliefern will, wie er betont.
Essen.
Das Ruhrgebiet ist dieser Tage mal wieder besonders als Region des Niedergangs in den Schlagzeilen. Wir finden zu unrecht, aber das Image klebt wie die Pest.Werner Müller: Die Schließung des Opel-Werks Bochum ist sicherlich ein Schlag. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Region das verkraften wird. Wir haben weitaus größere Schließungen im Ruhrgebiet bewältigt. Heute schließt das Bergwerk West mit derselben Größenordnung an Mitarbeitern wie beim Opel-Werk. Es ist ja gerade eine Auszeichnung des Reviers, solche Schließungen in geordneten Bahnen zu bewältigen.
Die Industriearbeitsplätze aber sind weg.
Müller: Sie werden jedenfalls in dem Maß nicht wiederkommen. Dafür gibt es ermutigende Entwicklungen in der Logistik, der Gesundheitswirtschaft, der Hochschullandschaft und der chemischen Industrie.
Die RAG-Stiftung hat den Auftrag, den Strukturwandel durch das Auslaufen des Steinkohle-Bergbaus im Revier und dem Saarland zu begleiten. Was stellen Sie sich vor?
Müller: Unsere Aufgabe ist zunächst, das Vermögen der Stiftung zu mehren, um die Ewigkeitslasten des Bergbaus zu finanzieren und vom Steuerzahler fern zu halten. Und es kommen kulturelle Aufgaben auf uns zu, wenn der Bergbau ausläuft.
Zum Beispiel?
Müller: Es gibt einige Dinge, die noch die RAG mit finanziert, das Bergbau-Museum in Bochum ist nur eines von etliche Beispielen. Dafür müssen wir gute Lösungen finden.
Die Mehrung des Stiftungsvermögens ist bei den allgemein niedrigen Zinsen nicht ganz leicht.
Müller: Das Vermögen ist in diesem Jahr sehr gut verwaltet worden, mit einer Rendite von sieben bis acht Prozent. Das hat mich angenehm überrascht. Aber es ist richtig: Alle Stiftungen haben derzeit ein Problem. Wenn Staatsanleihen nur ein bis zwei Prozent Zinsen bringen, würden wir nach Abzug der Inflationsrate real an Wert verlieren.
Was tun?
Müller: Da kann die Anlage in Produktiv-Vermögen eine erheblich renditestärkere Alternative sein, um die Ewigkeitslasten auf Dauer finanzieren zu können. Auch wenn dann alle rufen: Der Müller macht Industriepolitik.
Macht der Müller Industriepolitik?
Müller: Für mich hat das Ziel, den Steuerzahler von etwaigen Zahlungen für die Ewigkeitslasten frei zu halten, absoluten Vorrang. Mögliche Finanzanlagen der Stiftung in Unternehmen müssen sich daran messen lassen. Der Übergang zwischen Finanzanlage und Industriepolitik ist dann fließend. Ich empfinde übrigens den Begriff Industriepolitik nicht als Schimpfwort.
Die Stiftungssatzung lässt Beteiligungen an Unternehmen zu. Ihr Vorgänger etwa hatte an die Übernahme des Bundesanteils am Duisburger Hafen nachgedacht.
Müller: Das weiß ich nicht. Eine Investition in ein ebenso wirtschaftliches wie für die Region notwendiges Infrastrukturprojekt wie den Hafen ist jedenfalls vertretbar. Und industriepolitisch ist es sinnvoll, damit solche Projekte Gesellschafter haben, die das Unternehmen voranbringen wollen. Statt welche, die das aus Wettbewerbgründen vielleicht nicht wollen. Die Frage stellt sich aber meines Wissens derzeit nicht.
Und die Stiftung wird 25 Prozent an Vivawest und ihren 130 000 Wohnungen übernehmen?
Müller: Ich habe schon früh gesagt, ein Wohnungsunternehmen gehört nicht in einen Chemiekonzern. Meine Überlegungen sind aber breiter angelegt, weil wir die Mieter, die gerade auch aus dem Bergbau und den Chemischen Werken Hüls kommen, nicht einfach Immobilienhaien ausliefern wollen.
Dann könnte Vivawest künftig der Stiftung, der Gewerkschaft IGBCE, dem Evonik-Pensionsfonds und der RAG gehören?
Müller: Das ist ein denkbares Modell, wobei eine solche Anlage aus Sicht der Stiftung auch durchaus finanziell attraktiv ist. Die IGBCE ist ja schon heute Miteigentümer.
Ein weiterer Auftrag der Stiftung ist es, den Anteil an Evonik unter 50 Prozent zu bringen.
Müller: Längerfristig aus gutem Grund. Der Sinn ist nämlich, die Stiftung mit ihren Kapitalanlagen auf eine breite Basis zu stellen und damit die Abhängigkeit von einem einzigen großen Unternehmen zu reduzieren.
War die Absage des Evonik-Börsengangs ein Fehler?
Müller: Sagen wir, es ist unglücklich gelaufen. Es wäre schon von Vorteil gewesen, mit zumindest einem kleineren Anteil an der Börse notiert zu sein, um dann später nachlegen zu können. Man konnte aber die Anteile auch nicht verramschen.
Das Jahr 2013 kommt gewiss, auch für einen Börsengang?
Müller: Das Jahr 2013 kommt gewiss.
CVC, der Finanzinvestor und Evonik-Mitgesellschafter, ist nun fünf Jahre dabei und möchte gerne aussteigen.
Müller: Ich kann hier nicht für CVC sprechen, ich kann aber sagen, dass wir uns sehr verbunden fühlen und ich mich persönlich in der Pflicht sehe, CVC konstruktiv zu begleiten. Und bei einem Verkauf der Evonik-Anteile muss ich aus Sicht der Stiftung immer sehen, dass wir eine Anlage finden, die eine ähnlich gute Entwicklung nimmt wie Evonik.
Sie sind also zufrieden?
Müller: Sehr, die Entwicklung von Evonik unter Führung von Klaus Engel macht mir große Freude. Das Unternehmen wächst vor allem aus eigener Kraft insbesondere in den globalen Zukunftsmärkten.
Norbert Römer, Chef der SPD-Landtagsfraktion, hatte die Hoffnung geäußert, die Stiftung könnte einen Bund zwischen Evonik und dem Kölner Chemiekonzern Lanxess schmieden.
Müller: Das würde jedenfalls weder Evonik noch Lanxess gerecht. Lanxess hat eine tolle Entwicklung genommen, und ich wäre froh, der Evonik-Aktienkurs würde sich einmal so entwickeln wie der von Lanxess. Nein, das ist definitiv kein Thema.
Auch der Steinkohleförderer RAG hätte gerne ein wenig mehr Beinfreiheit, was dessen Entwicklungsmöglichkeiten angeht. Etwa beim Ausbau der Erneuerbaren oder der Pumpspeicherkraftwerke.
Müller: Da gibt es in der Tat Dinge, die ich längst für überwunden wähnte. Zum Beispiel machen einige Unternehmensteile der RAG Gewinne, die aber werden mit den Subventionen verrechnet. Anreize zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung sehen anders aus.
Soll das Gesetz dafür geändert werden?
Müller: Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, jetzt den Rechtsrahmen zu ändern oder zu sagen, wartet noch die fünf Jahre, aber dann seid ihr mit euren profitablen Geschäften voll da.
Fünf Jahre, nachdem der damalige Ministerpräsident Rüttgers verhindert hat, dass Sie Chef der RAG-Stiftung werden, sind Sie es jetzt doch geworden. Mit welchen Gefühlen?
Müller: Es freut mich natürlich, denn ich wollte das in der Tat immer gerne machen. Aber man hat mir stattdessen die Führung der neuen Evonik anvertraut, und ich konnte den ersten großen Privatisierungsschritt vorbereiten.
Genugtuung?
Müller: Was heißt Genugtuung? Es freut mich, dass einige Persönlichkeiten über Jahre an der Idee eines Stiftungschefs Müller festgehalten haben und sie dann immer mehr Anhänger gefunden haben.
Sie gelten als der Vater des Stiftungsmodells, das Evonik eine unbelastete Zukunft ohne Steinkohle ermöglicht. Ist Ihre Berufung die Vollendung des Lebenswerkes?
Müller: Ich will nun nicht sagen, dass ich der Vater des Stiftungsmodells bin. Die Idee ist in der alten RAG-Mannschaft geboren worden. Und Lebenswerk kann man schon deshalb nicht sagen, weil die Stiftung gegründet wurde zur Begleichung der Ewigkeitskosten des Bergbaus. Und Ewigkeit hat keinen Anfang und kein Ende. Dazwischen bin ich jetzt ein paar Jahre tätig.
Sie sind einstimmig zum Stiftungschef gewählt worden. Verstehen Sie sich als überparteilich?
Müller: Ja, sicher, und ich bin unverändert parteilos. Ich verhehle aber nicht, dass vier Jahre Mitarbeit in einer rot-grünen Koalition der Bundesregierung mir einige gute Freundschaften geschenkt haben, übrigens auch zu damaligen Oppositionspolitikern.
Es war im Jahr 2007 ein Kampf mit harten Bandagen. Und mit bleibenden Wunden?
Müller: So ist das Leben. Vergessen Sie nicht, ich habe auch Herrn Rüttgers nicht immer nett behandelt.
Man könnte sagen, Sie waren damals ein politisch aktiver Vorstandschef, haben die SPD im Wahlkampf gestützt.
Müller:
Falsch. Ich habe als RAG-Vorsitzender reagiert auf die Aussage von Herrn Rüttgers, er werde den Bergbau schließen, wenn er gewählt würde. Ich hatte rund 100 000 Kollegen im RAG-Konzern und habe gesagt, wenn er den Bergbau schließen will, wählen wir ihn nicht. Das ist keine politische Aussage, sondern ein Handeln im Sinne des Unternehmens. Ich kann aber verstehen, dass ihn das geärgert hat.