Essen. Ab diesem Monat kann es passieren, dass Ärzte ihren Patienten vermehrt ein grünes Rezept ausstellen. Das Medikament muss der Patient selber bezahlen. Profitieren wollen davon vor allem die Arzneimittelhersteller, die bei rezeptfreien Medikamenten wieder auf bessere Umsätze hoffen.
Seit 2004 müssen Patienten rezeptfreie Medikamente aus eigener Tasche zahlen. Nur die risikoreicheren verschreibungspflichtigen Arzneimittel darf der Arzt noch auf dem rosaroten Kassenrezept verordnen. Und seitdem der Patient für verschiedene Grippe- und Allergiemittelchen selber aufkommen muss, sollen Ärzte solche Medikamente weniger verordnet haben – die Zahl sank um mehr als 50 Prozent. Das hat der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) mit Schrecken festgestellt und eine Marktstudie in Auftrag gegeben. „Ob ein Medikament rezeptfrei ist, entscheidet sich nach dem Risiko“, sagt Dr. Uwe May, Gesundheitsökonom beim BAH. „Viele Leute denken aber fälschlicherweise: Was von der Krankenkasse nicht mehr erstattet wird, ist überflüssig und unwirksam.“ Die Folge: Nur einen geringen Teil der vormals verordneten Medikamente kauften die Patienten seit 2004 selbst – die Zahl sank um 100 Millionen Packungen pro Jahr.
Mit einem grünen Rezept soll sich das ändern. Es wurde bereits vor einigen Jahren vom BAH gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Deutschen Apothekerverband entwickelt. Bislang lag es nur in einigen wenigen Arztpraxen vor. Ab diesem Monat verteilt der BAH die Rezeptblöcke flächendeckend und kostenlos. Das grüne Rezept soll dem Patienten mitteilen, dass das empfohlene Medikament zwar medizinisch geboten ist, er es aber selber bezahlen muss. Und es soll seinen Gang in die Apotheke beschleunigen, da sind sich Kenner der Szene einig. Der Arzt habe das Medikament ja schließlich „verordnet“.
Mehr Sicherheit für den Patienten
„Wir wollen durch das grüne Rezept die Sicherheit für den Patienten erhöhen“, sagt Uwe May vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller. „Denn es ist eine Merkhilfe und stellt sicher, dass der Patient in der Apotheke das richtige Medikament bekommt.“ Der Gelsenkirchener Internist Dr. Arnold Greitemeier schließt sich dieser Sichtweise an: „Der Arzt verschreibt dem Patienten ein Medikament für das individuelle Krankheitsstadium. Dann spricht ja nichts dagegen, wenn er es auf dem grünen Rezept vermerkt.“ Oft bezahle der Patient dadurch auch weniger, als wenn er nur in die Apotheke und nicht zum Arzt ginge. „In der Apotheke werden Ihnen oft mehrere Mittel angeboten, einmal, weil der Apotheker daran verdienen will, und einmal, weil er ja die Wirkung auf den Patienten nur bedingt einschätzen kann.“
Wie viel Geld der BAH für den Druck der grünen Rezepte in die Hand nimmt, will er nicht sagen. Nur soviel: Zwischen Mitte 2007 und 2008 seien in Deutschland 31,7 Millionen grüne Rezepte ausgestellt worden. Mit seiner Kampagne will der Verband diese Zahl deutlich steigern und über erneute Marktforschung feststellen, wie viele Rezepte die Ärzte ausstellen und wie viele davon in der Apotheke landen.
Denn jedem Patienten steht es frei, das Rezept einzulösen, sich für ein anderes oder auch für gar kein Medikament zu entscheiden. „Wenn wir merken, dass Ärzte die grünen Rezepte nicht bei uns bestellen oder die Patienten mit dem Rezept nicht in die Apotheke gehen, stellen wir die kostenlose Verteilung auch wieder ein“, sagt May.
Patientenverband spricht von „Werbegag“
Ob das grüne Rezept die Patientensicherheit erhöhen kann oder nur ein Marketinginstrument der Arzneimittelhersteller ist, dazu wollte sich das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage nicht äußern: „Das grüne Rezept steht nicht im Sozialgesetzbuch, und wir müssen das nicht kommentieren.“ Konkreter wird Christian Zimmermann, Präsident des Allgemeinen Patienten-Verbandes: „Das grüne Rezept ist eher ein Werbegag. Natürlich kann es in der Apotheke Verwechslungen vermeiden. Allerdings kann es auch die Medikamentengläubigkeit fördern.“
In Deutschland seien viele Patienten unzufrieden, wenn ihnen der Arzt kein Rezept ausstelle. „Und bei vielen leichteren Krankheiten brauchen Patienten oft gar kein Medikament, sondern eher einen Hinweis auf gesunde Lebensführung“, sagt Zimmermann. Durch das grüne Rezept werde der Arzt in der Regel aber wieder mehr dazu animiert, auf Arzneimittel zurückzugreifen. „Das System der Drei-Minuten-Medizin wird dadurch unterstützt.“
Noch drastischer formuliert Dr. Angelika Haus, Vorsitzende des Hartmannbundes Nordrhein, ihre Kritik am grünen Rezept: „Ich sehe da überhaupt keinen Sinn drin. Wenn ich ein Medikament verordnen will, das die Krankenkasse nicht erstattet, nutze ich das traditionelle Privatrezept. Das ist die ehrlichere Version. Dafür brauche ich kein grünes Rezept.“ Das könnten Mediziner so sehen, sagt Uwe May vom BAH. Doch Umfragen hätten ergeben, dass Ärzte die blauen Privatrezepte lieber für Privatpatienten vorhalten wollten. Außerdem gebe erst die neue Farbe Anlass dazu, über den Verkaufsrückgang rezeptfreier und nicht erstattungsfähiger Medikamente nachzudenken.
Grünes Rezept schont das Arzt-Budget
Insider befürchten, dass Ärzte bei mittelschweren Erkrankungen, bei denen ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel durchaus in Frage kommen könnte, doch zum rezeptfreien Medikament und damit zum viel umworbenen grünen Rezept greifen. Weil viele Patienten gar nicht wüssten, welche Unterschiede es bei den Rezepten gibt, hätte der Arzt leichtes Spiel, um auf diesem Weg auch sein Budget zu schonen.
„Nach den Arzneimittelrichtlinien ist jeder Arzt verpflichtet, ein adäquates Medikament zu verschreiben“, sagt May. „Dass es schwarze Schafe gibt, kann niemand ausschließen.“
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