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Ein Pferd für zehn Millionen Euro

Ein Pferd für zehn Millionen Euro

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Foto: ddp

Mühlen. 

Totilas steht im Stall ganz hinten in der letzten Box. Er ist zu schön, um nah zu sein. Das Fell des Hengstes glänzt schwarz wie Präsentier-Samt beim Juwelier. Morgens um sechs Uhr kriegt er sein Frühstück: Müsli, Trockenpellets und einen Apfel. Nicht spektakulär, dabei ist Totilas das beste und teuerste Dressurpferd der Welt.

Bei der WM in Kentucky gewann Totilas mit seinem holländischen Reiter Edward Gal drei Goldmedaillen, aber der Verkauf war längst eingestielt. Zehn Millionen Euro soll Totilas gekostet haben. Paul Schockemöhle, Pferdehändler und Züchter aus der niedersächsischen Kleinstadt Mühlen, hat die Zahl nicht dementiert. Und er ist jemand, der sich nichts vom Pferd erzählen lässt, er kauft das Pferd einfach.

Keine Sentimentalitäten

Er habe sich in den Jahrhundert-Hengst verliebt, sagte Schockemöhle bei der Präsentation – Emotionen und Tiere sind wie Bruder und Schwester. So wie zum Beispiel bei Ourasi. Der wunderbare Traberhengst aus Frankreich, der bei 56 Siegen fünf Millionen Euro an Siegprämien gewann, wurde verehrt wie ein Mensch. Er lebte nach seiner Rennbahn-Karriere als Deckhengst in der Normandie – eine Portion seines Samens kostete 15 000 Euro – und er bekam sogar Post. „Ich weiß, du bist ein Tier“, schrieb ihm eine Frau. „Aber deine Ruhe und deine Kraft haben mir Mut gegeben.“

Abseits solcher Anekdoten ist Pferdesport allerdings ein knallhartes Geschäft, die Millionen-Investitionen sollen sich lohnen. Schockemöhle, der dreimal Europameister der Springreiter wurde, hat neben dem Sport eins der erfolgreichsten deutschen Speditionsunternehmen aufgebaut. Für Sentimentalitäten bleibt dabei wenig Platz. Der 65-Jährige war in den 90er-Jahren in den Skandal um das Barren verwickelt, bei dem Pferde mit Schlägen zu höheren Sprüngen getrieben wurden. 1996 musste er wegen Steuerhinterziehung 22,6 Millionen Mark Steuern nachzahlen und erhielt eine elfmonatige Haftstrafe auf Bewährung.

Ein Schuss von Totilas kostet 4000 Euro

Sein Gestüt, das Unternehmen Pferd, duckt sich in Mühlen ins Grün der Weiden und Wälder. Im Frühjahr soll Totilas wieder ins Dressur-Viereck, bis dahin arbeitet der Zehnjährige dort als Deckhengst. Männer stellen sich den Job vielleicht schöner vor, als er in der Realität ist. Hinter dem Stall liegt eine Scheune, in der nicht die Stuten warten, sondern ein Pferdemodell aus Kunststoff. Mühlen ist nicht der Ort amouröser Abenteuer, viel Sachlichkeit, viel Bürokratie. Unter den 75 Mitarbeitern des Gestüts sind zwei Tierärzte und sogar eine Besamungstechnikerin.

Ein Schuss von Totilas – in der Pferdezucht und in der Drogenszene wird nach Schuss bezahlt – soll zunächst 4000 Euro kosten, trägt die Stute danach tatsächlich ein Fohlen aus, werden weitere 4000 Euro fällig. Eine Portion Samen lässt sich in bis zu vier Häppchen aufteilen. Wenn es optimal läuft, können 700 Stuten pro Jahr davon gedeckt werden. Das bedeutet: 5,6 Millionen Euro Einnahme. Noch mehr Geld als in der Dressur ist im Galopp unterwegs. In Deutschland kämpft zwar selbst die Vorzeigebahn in Iffezheim ums Überleben, doch die Welt ist groß. Beim Dubai World Cup schütteten die Scheichs zuletzt in sieben Rennen 21 Millionen Euro an Prämien aus. Der Siegerpokal im Hauptrennen war aus 18-karätigem Gold und wog 185 Unzen – knapp sechs Kilo.

600 bis 700 Galopper kommen pro Jahr an den Haken

Summen, die Begehrlichkeiten wecken, doch die meisten Galopper erfüllen die Hoffnungen nicht und bleiben auf der Strecke: traurige Fälle für den Pferdemetzger. „600 bis 700 Galopper kommen pro Jahr an den Haken“, schätzt Adel Massaad. Der 45-Jährige hat am Niederrhein eine kleine Auffangstation gegründet. Für 500 Euro – das ist der Schlachtpreis – kauft er ausgemusterte Galopper und schult sie in ein bis zwei Jahren zu Reitpferden um.

Zurzeit hat er drei Pferde in seinem Stall im Spargeldorf Walbeck stehen. „Keine kommerzielle Sache“, sagt er. „Mir geht es einfach um die Tiere.“

Pferde sind Lebewesen, und daher ist nicht alles kalkulierbar. Auch wer sich für seine Stute die Dienste von Totilas sichert, weiß nicht, was die Natur daraus macht. Es kann durchaus passieren, dass man Madonna bestellt, am Ende aber Rex Gildo kriegt.