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Die Metropole Ruhrgebiet gibt es (noch) nicht

Die Metropole Ruhrgebiet gibt es (noch) nicht

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Foto: Lars Heidrich
Das Revier bilde sich ein, eine Metropole zu sein, verfüge aber nicht über die Ausstrahlung, schreiben Franz Lehner und Hans-Peter Noll.

Essen. 

Fotos von Westeuropa, die bei Nacht aus dem Weltall geschossen wurden, zeigen drei große leuchtende Flecken: London, Paris und das Ruhrgebiet. Wohlwollende leiten daraus ab, dass das Revier eine Metropole ist – wie die Hauptstädte Großbritanniens und Frankreichs. „Dahinter steckt jedoch ein großes Missverständnis“, schreiben die beiden Professoren Franz Lehner und Hans-Peter Noll. In ihrem neuen Buch mit dem süffisanten Untertitel „Von der eingebildeten zur wirklichen Metropole“ machen sie Vorschläge, wie die Region fit für die Zukunft gemacht werden kann.

Franz Lehner, emeritierter Professor der Ruhr-Universität Bochum, und Hans-Peter Noll, Chef der RAG Montan Immobilien GmbH, beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet. Vor rund sechs Jahren hatte Lehner zuletzt eine Analyse vorgelegt. Seine nüchterne Bilanz damals lautete: „Viel erreicht, wenig gewonnen.“ Nun unternehmen die beiden Autoren einen neuen Versuch: „Strukturwandel ist ein dauerhaftes Zukunftsprojekt, mit dem sich mehrere Generationen beschäftigen müssen“, sagt Noll.

Es fehlen Bedeutung und Ausstrahlung

Die beiden Autoren finden harte Worte, die nicht allen Akteuren gefallen werden. Das Ruhrgebiet rufe sich zur Metropole aus, habe aber längst nicht die Bedeutung dafür. „Metropolen strahlen wirtschaftlich, kulturell und politisch weit aus und beeinflussen Entwicklungen in der ganzen Welt“, heißt es in dem Buch. Das Revier habe aber „in kaum einem Bereich eine solche Bedeutung und Ausstrahlung“, so die ernüchternde Feststellung.

Ist das Ruhrgebiet eine Metropole? Lesen Sie hier zwei gegensätzliche Meinungen aus der Redaktion:
Ist das Ruhrgebiet eine Metropole?   Ist das Ruhrgebiet eine Metropole?  

Gleichwohl steht für die Professoren außer Frage, dass das Ruhrgebiet eine Metropole werden muss. „Bliebe das Revier eine periphere Region, geriete es in eine gefährliche Abwärtsspirale“, erklärt Lehner. Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Kaufkraft, Billigläden in den Innenstädten, niedrige Mieten und die Abwanderung qualifizierter Hochschulabgänger nach Stuttgart oder München begünstigten den Sog nach unten.

„Weg vom Kirchturmsdenken“

„Die Zeit wird knapp“, unterstreicht Noll und benennt die Handlungsfelder, die die Abwärtsspirale stoppen sollen. „Wir müssen weg vom Kirchturmsdenken in den Ruhrgebietsstädten und hin zu echter Zusammenarbeit“, fordert der Immobilien-Manager. Den Weg in die reine Dienstleistungsgesellschaft seien Metropolen des 19. und 20. Jahrhunderts gegangen. Noll: „Im 21. Jahrhundert muss sich das Ruhrgebiet als Industrieregion revitalisieren und teilweise neu erfinden.“ Deshalb müsse die Region in die Digitalisierung investieren und auf Recycling, erneuerbare Energie, urbane Landwirtschaft und Flächenproduktivität setzen. Ein gutes Beispiel sei das Bottroper Stadterneuerungsprogramm Innovation City, das in etliche Ruhrgebietsstädte ausgerollt wird. Auch die Grüne Hauptstadt Essen sowie die Bewerbung zur Internationalen Gartenbauausstellung 2027 könnten Strahlkraft für die Region haben.

Junge Leute an die Region binden

Eine zentrale Rolle werde spielen, ob es dem Ruhrgebiet gelingt, junge Leute an die Region zu binden. „Ein attraktiver Arbeitsplatz, eine gute Infrastruktur sowie ein lebenswertes Umfeld sind die Hauptgründe, ob Hochschulabsolventen bleiben oder nicht“, meint Noll. Lehner wählt drastischere Worte: „Im Ruhr­gebiet droht eine Gerontokratie. Wir brauchen keine Rollatoren gerechten Innenstädte und wir dürfen uns nicht von älteren Herrschaften kaputt regieren lassen“, sagt der 70-jährige Wissenschaftler.

Die beiden Autoren haben auch klare Vorstellungen, wer das „Zukunftsprojekt Ruhr“ steuern soll: „viele kreative Köpfe“, sagt Noll, von „Galionsfiguren“ spricht Lehner. In jedem Fall müsse der Regionalverband Ruhr die Zukunftsdebatte organisieren und Wirtschaft wie Gesellschaft einbeziehen.