Am 26. Oktober 2010 segnete Orakel Paul das Zeitliche. Mit seinem Tod ging ein wochenlanges Spektakel zu Ende, das bis heute wahlweise schmunzeln oder den Kopf schütteln lässt. Profitiert das Sealife Oberhausen immer noch von der Welle der Euphorie?
Oberhausen.
Ein Dienstagvormittag in den Herbstferien, der Himmel über der Marina ist grau, es nieselt – perfekte Voraussetzungen für großen Andrang im „Sealife“. Und so stehen die Besucher – überwiegend Eltern mit ihren Kindern – denn auch Schlange vor den Toren des Aquarium-Zoos. Mit Paul hat das allerdings nichts mehr zu tun, sagt Oliver Walenciak, biologischer Leiter des Sealife. „Nein, wir zehren nicht mehr von dem Trubel.“
Heute vor einem Jahr fand Walenciak den weltweit als Fußball-Orakel bekannt gewordenen Kraken Paul morgens leblos in seinem Becken. Blasser sei er in den Tagen zuvor geworden, habe nicht mehr viel gefressen, sagt der Biologe. Mit Pauls Tod ging ein wochenlanges Spektakel zu Ende, das bis heute wahlweise schmunzeln oder den Kopf schütteln lässt. Für das Sealife war es ein aufreibendes und zugleich sicher einträgliches Kapitel seiner Geschichte.
„Deutlich normalisiert“
Wie einträglich es war, mag man bei der Merlin Entertainments Group, zu der die Sealife-Aquarien gehören, nicht sagen: Über Besucherzahlen gebe man generell keine Auskünfte, heißt es am Deutschland-Sitz in Hamburg. Für Oliver Walenciak in Oberhausen war die Zugkraft Pauls eine Zeit lang vor allem an der Zusammensetzung des Publikums ablesbar: „Wir hatten viele Besucher aus Spanien und aus dem asiatischen Raum. Das hat sich inzwischen deutlich normalisiert.“
Paul hat selbstverständlich längst seinen eigenen Eintrag in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Unter „Paul (Krake)“ finden sich dort inzwischen umfängliche Informationen über dem gemeinen Oktopoden (Octopus vulgaris), der plötzlich zum Star wurde. Mittlerweile hat sich verschiedentlich auch die Wissenschaft des Phänomens angenommen. So beschäftigte sich ein Pariser Forscher mit der Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens von acht richtigen Tipps. Angesichts von tausenden Orakeltieren weltweit sei es letztlich gar nicht so verblüffend, dass eines durchweg richtig liege. Ein Meereszoologe der Universität Greifswald betrachtete Pauls Verhalten vor allem mit Blick auf dessen Geschmacks- und Geruchssinn. Für einen Wissenschaftler aus Wales waren die Farben der Flaggen für die Entscheidungen ausschlaggebend. Und ein ungarischer Verhaltensforscher formuliert die Möglichkeit, Paul sei dann doch manipuliert worden.
Das gleiche gelte für die mediale Aufmerksamkeit. Zwar gebe es immer noch Interview-Wünsche – gerade erst kam einer aus Kanada – sie trudeln aber nur noch vereinzelt ein. „Damals mussten wir extra Leute abstellen, um alle Anfragen zu bearbeiten.“ Überhaupt herrschte in jenen Wochen des Sommers 2010 „Ausnahmezustand“, erinnert sich Walenciak, der Paul bei seinen Prophezeiungen stets zur Seite war.
Schön sei die Zeit rückblickend aber schon gewesen. „Jeder Tag war etwas Besonderes.“ Vor allem die quälend lange Orakelei vor dem Argentinien-Spiel hat sich Walenciak eingeprägt. Während vor der Scheibe die Kameraleute warteten, nahm Paul sich eine volle Stunde Zeit, bevor er den Deutschland-Napf lüftete – nicht, ohne vorher auch mal an dem des Gegners gerüttelt zu haben. „In dieser Stunde habe ich viele graue Haare bekommen“, sagt Walenciak, der denn auch froh war, sich nach dem Abebben der Paul-Welle wieder seinem „Kerngeschäft“ widmen zu können.
„Wollen auch unterhalten“
Dass der ganze Rummel für einen Wassertierpark, der sich nicht zuletzt Wissensvermittlung und Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben hat, vertretbar ist, daran lässt Walenciak keinen Zweifel gelten. „Unser Anspruch ist pädagogisch, wir wollen aber auch unterhalten.“ Gutes Marketing sei da unerlässlich. „Um den Leute die Vielfalt der Unterwasserwelt nahezubringen, müssen sie erstmal herkommen.“ Davon, man habe Paul für PR-Zwecke missbraucht, könne keine Rede sein. Direkte Anfragen nach Paul als Werbeträger habe man ohnehin meist abgelehnt. Und wenn sich mit Rewe doch ein Unternehmen mit der „Marke Paul“ schmücken durfte, so seien die Einkünfte daraus komplett in eine Schildkröten-Aufzucht in Griechenland geflossen.
Ob man sich im Sealife ab und an Gedanken macht, wie ein solcher Aufmerksamkeitserfolg zu wiederholen wäre? Ein zarter Versuch während der Frauen-Fußball-WM, als man Oktopoden aus den acht deutschen Sealife-Aquarien gegeneinander antreten ließ, ging ziemlich unter. Das war zu erwarten, meint Walenciak, die Sache mit Paul „ist nicht wiederholbar. Andererseits: Sag’ niemals nie.“