Gelsenkirchen.
Jetzt will die Politik die Ärmel hochkrempeln!
Vermüllte Straßen, Schrott-Immobilien, Pöbeleien, Ratten und Fäkalien an den Hauseingängen, Sperrmüllberge auf den Bürgersteigen – und ein vernichtendes Urteil der Anwohner. DER WESTEN hatte über die elenden Zustände von Gelsenkirchen–Schalke berichtet, selbst alteingesessene Bürger dort sprechen in wütendem und auch traurigen Ton von „Asiland“.
Nicht nur, aber auch Gelsenkirchen-Schalke steht vor dem Zerfall. Doch dazu soll es auf keinen Fall kommen, wenn es nach den Spitzenkandidaten der drei größten Parteien vor der Bundestagswahl geht. DER WESTEN hat Markus Töns (SPD, seit 2017 im Bundestag), Irene Mihalic (Grüne, seit 2013) und Laura Rosen (CDU), sie alle kommen aus Gelsenkirchen, die Frage gestellt: Wie wollt ihr Eure Stadt retten, liebe Politiker?
Gelsenkirchen: Müll, Elend und „Asiland“ – Partei-Spitzenkandidaten wollen Schalke vor Zerfall retten
„Asiland“ – so hat eine langjährige Anwohnerin „ihr“ Schalke gegenüber DER WESTEN bezeichnet, wie du hier nachlesen kannst. Eine Bezeichnung, die allen drei Politikern weh tut, und doch Verständnis auslöst. So sagt SPD-Mann Markus Töns: „Es schmerzt natürlich sehr. Die Menschen, die dort und in anderen Problemvierteln leben, empfinden das so und das muss man ernst nehmen. Dort, wo es schlimm ist, ist es für die Menschen einfach unerträglich. Da darf man auch nicht drumherum reden.“
Auch CDU-Kandidatin Rosen schlägt in die gleiche Kerbe, sagt als gebürtige Schalkerin: „Es gibt hier Ecken in diesem Stadtteil, aber auch in anderen Stadtteilen, die massive ordnungs- und sauberkeitspolitische Probleme haben. Das wurde hier kommunalpolitisch vernachlässigt, sodass man Maßnahmen einleiten muss, um dem Einhalt zu gebieten. Denn es wird schlimmer.“
Für Grüne-Spitzenkandidatin Mihalic, von Beruf Polizistin, ist Armutszuwanderung einer der Gründe für das Herunterkommen der betroffenen Bezirke. Mihalic zu DER WESTEN: „Man muss wirklich sagen, dass diese massive Armutszuwanderung und die damit verbundenen Probleme kein bundestypisches Phänomen ist. Wenn ich mit einigen meiner Fraktionskollegen darüber spreche, wissen einige nicht, wovon ich rede, weil sie solche Probleme aus ihren Wahlkreisen schlicht nicht kennen.“
Und weiter: „Deswegen ist es politisch schwer daran zu arbeiten, weil man erstmal auf diese Probleme aufmerksam machen muss. Man muss das in einer Weise tun, ohne bestimmte Bevölkerungsgruppen und die Stadt zu stigmatisieren, aber trotzdem die nötige Aufmerksamkeit erzeugen, damit gegen solche Probleme was getan wird.“
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Das ist die Stadt Gelsenkirchen:
- Stadtteil Buer 1003 erstmals urkundlich erwähnt
- rund 260.000 Einwohner, fünf Stadtbezirke und 18 Stadtteile, elftgrößte Stadt in NRW
- Heimatstadt des Bundesligisten FC Schalke 04
- Wahrzeichen unter anderen: Zoom Erlebniswelt, Wissenschaftspark Rheinelbe, Sport-Paradies
- Oberbürgermeisterin ist Karin Welge (SPD)
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Gelsenkirchen: In Schalke hat 2017 fast jeder Fünfte AfD gewählt – „Viele sind enttäuscht“
Bitter für das Trio: Bei der letzten Bundestagswahl 2017 hat fast jeder Fünfte in Gelsenkirchen-Schalke, aber auch in Ückendorf oder Rotthausen, die AfD gewählt. Ein Zustand, mit dem niemand leben kann. Töns von der SPD: „Die Menschen sind verärgert. Die AfD ist aber keine Lösung des Problems, sondern verschärft sie nur. Ich bin immer wieder vor Ort, spreche mit den Menschen. Wir müssen alle die Anstrengung übernehmen, und das geht nur, wenn eine Kommune in der Lage ist, das zu organisieren. Wenn sie dazu nicht in der Lage ist, weil finanzielle Ressourcen fehlen, ist das ein Fehler.“
CDU-Spitzenkandidatin Laura Rosen erkennt einen positiven Trend, was die AfD-Wählerschaft angehe. Sie zu DER WESTEN: „Bei der Kommunalwahl 2020 ist der AfD-Stimmenanteil abwärts gegangen. Natürlich ist das AfD-Ergebnis in einzelnen Bezirken noch immer zu hoch. Ich glaube, dass viele enttäuscht sind und aus diesem Grund AfD wählen. An der Stelle muss man Vertrauen zurückgewinnen und signalisieren, dass man Probleme erkennt, ernst nimmt und konkrete Lösungsvorschläge auch umsetzt. Das muss die Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, wieder eine vertrauenswürdige Politik zu machen, die die Leute auch abholt.“
Irene Mihalic von den Grünen will den Wählern keine falschen Versprechen machen. Die 44-Jährige sagt: „Es geht erstmal darum, einfach mal zuzuhören. Hingehen, zuhören und identifizieren, was eigentlich das konkrete Problem ist. Viele haben mir in Ückendorf gesagt, dass es seit Jahren Probleme mit dem Miteinander gibt. Vor allem mit Menschen, die neu zugezogen sind. Sie sind oft nicht lange genug da, um sich integrieren zu können. Wenn manche ‚Problemhäuser‘ polizeilich in Erscheinung treten, ziehen die Bewohner oft in die nächste Stadt und es kommen neue.“
Gelsenkirchen: Zuzug aus Bulgarien und Rumänien „massives Problem“ – „Da treffen kulturelle Welten aufeinander“
Damit spricht sie, aber auch Töns und Rosen, ein Problem an: die mangelhafte Integration von Menschen aus Bulgarien und Rumänien. CDU-Frau Rosen nimmt kein Blatt vor den Mund, sagt: „Wir haben ein massives Problem mit Zuzug aus Südosteuropa. Häufig sind diese Leute in Schrott-Immobilien untergebracht. Auch dagegen wollen wir als Stadt massiv vorgehen, das muss stärker und nachhaltiger gemacht werden. Dazu gehört auch, dass die Stadt Immobilien aufkauft, abreißt und neuen, qualitativ hochwertigen Wohnraum für Familien schafft. Wir haben eine sehr niedrige Eigentumsquote, viele wohnen zur Miete. Hier macht es die richtige Mischung und so würden wir zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen.“
Das sieht ihr SPD-Kollege Töns ähnlich. Der 57-Jährige: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die aus einem Lebensumfeld kommen, die das überhaupt nicht gewohnt sind, in einer Großstadt im 21. Jahrhundert in Westeuropa zu leben. Da treffen wirklich kulturelle Welten aufeinander. Manche müssen auch erstmal Regeln erlernen, wie man in einer Großstadt zusammenlebt. Man schmeißt beispielsweise seinen Müll nicht einfach vor die Tür, das ist nicht hinnehmbar.“
Mihalic über ihre Position: „Die AfD macht es sich einfach, wenn sie sagt: ‚Dann dürfen diese Leute nicht mehr kommen.‘ Man muss aber auch sagen, dass die EU-Freizügigkeit Rechtslage ist. Das Problem ist die Armut. Diese Menschen, die schon in ihren Herkunftsländern Rumänien und Bulgarien ausgegrenzt werden, sind häufig in ganz schwierigen Wohnverhältnissen untergebracht, denen oft kriminelle Geschäftsmodelle von Hauseigentümern zugrunde liegen, gegen die man vorgehen muss. Wir haben mit Lehrern gesprochen, die uns sagen, dass Kinder aus diesen Familien anfangs noch regelmäßig in der Schule sind, aber ab etwa 13, 14 Jahren immer seltener kommen.“
Gelsenkirchen: Stadt soll gegen Eigentümern von Schrott-Immobilien vorgehen
Ein weiteres Problem sind Schrott-Immobilien. Vermieter sind oft in kriminellen Strukturen organisiert, zocken arme Familien ab, kaufen dann die nächste Schrott-Immobilie auf und setzen ihr Gebaren fort. Dazu hat Laura Rosen eine klare Meinung: „Man muss diese Eigentümer stärker in die Pflicht nehmen. Es stecken durchaus kriminelle Strukturen hinter. Wenn das Haus nicht mehr den Standards entspricht, muss man die Eigentümer dazu verpflichten, das Gebäude zu sanieren. Und wenn es gar nicht mehr geht, müssen alle ordnungspolitischen und rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden, um weiteres Unheil und ein weiteres Abrutschen auch des Umfeldes zu verhindern. Das ist für solche Leute unattraktiv, dann wollen sie das Haus verkaufen – und an der Stelle wäre es gut, wenn die Stadt wieder einsteigen und die Immobilie kaufen würde.“
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Polizistin Mihalic: „Wenn Wohnungen überbelegt sind, kann man ordnungsrechtlich agieren, indem man gegen die Vermieter vorgeht. Es gibt Immobilien, die sind schlicht unbewohnbar. Aber dann werden notdürftig ein paar Reparaturen gemacht und schon ist die Wohnung wieder vermietbar. Da sind auch rechtlich andere Voraussetzungen zu schaffen, damit solche Schrott-Immobilien nicht mehr vermietet werden können. Es gibt Stadterneuerungsgebiete, wo die Kommune die Möglichkeit hat, Immobilien mit einem Vorkaufsrecht aufzukaufen, zu sanieren und ganz anderen Wohnraum zu schaffen. So kann man aktiv gegen diese Schrott-Immobilien vorgehen.“
Auch Markus Töns fordert eine aktivere Rolle der Kommune, sagt: „Die Schrott-Immobilien müssen vom Markt. Ich weiß, dass CDU und FDP sofort aufschreien, wenn das Wort ‚Enteignung‘ fällt, aber man kann sich am Markt stärker positionieren, um diese Immobilien zu bekommen und sie dann zu renovieren oder abzureißen. Das macht Gelsenkirchen schon, aber wir haben so viel, dass das noch nicht ausreicht. Wenn solche Immobilien vermietet werden, ist das aus meiner Sicht Organisierte Kriminalität. Ich könnte mir vorstellen, dass man bei jedem Kauf dieser Immobilien eine Steuerprüfung ansetzt. Diese Immobilien-Besitzer sind kriminell unterwegs, die Städte müssen entsprechend agieren dürfen.“
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Es bleibt abzuwarten, ob sich die Zustände in Gelsenkirchen nach der Bundestagswahl zum Besseren wenden – und ob die Anwohner dann eben nicht mehr von „Asiland“ sprechen, sondern auch stolz sind, in dem Bezirk zu leben, den sie eigentlich lieben.