Ein Jahr nach Gründung hat der Verein Kreative Klasse, der Sprachrohr der Kreativwirtschaft in Essen und dem Ruhrgebiet sein will, seine Mitgliederzahl mehr als verdoppelt. Wo sie stehen und welche Ziele sie noch verwirklichen wollen, haben Judith Haselroth, Siegfried Schneider und Michael Göke verraten.
Essen.
Kreativwirtschaft – ein Begriff, der nicht nur überlastet sondern oft missverstanden wurde. Denn bei den Akteuren der Branche handelt es sich sowohl um Kreative als eben auch um Unternehmer. „Letzters wurde oft und gerne vergessen“, bedauert Siegfried Schneider, seit Kurzem Vorstandsmitglied der Kreativen Klasse. Am 11. Mai wird der junge Verein ein Jahr alt – und hat seine Mitgliederanzahl seither von knapp 20 auf 52 mehr als verdoppelt. Grund genug also, dem Verein und der gesamten Branche auf den Zahn zu fühlen.
Die Geschichte: Viele Kreative lassen ihre Köpfe in der Metropole Ruhr rauchen. Die Stiftung Zollverein erkannte das und rief als Plattform das Festival Essens Kreative Klasse ins Leben, das seit 2007 vier Mal von der Stiftung Zollverein veranstaltet wurde. Als die Stiftung sich zurückzog, gründete Judith Haselroth, die in Rüttenscheid den Kreativ-Laden „Wohngemeinschaft“ betreibt, gemeinsam mit weiteren Mitstreitern die Kreative Klasse e.V.
Festival der Kreativen Klasse und Art Walk im September
Die Ziele: Hauptanliegen der Kreativen Klasse ist die Vernetzung untereinander und der gemeinsame Auftritt nach außen. Als anerkannter Berufsverband will der Verein ein Sprachrohr für die Kreativwirtschaft sein. Gleichzeitig haben potenzielle Auftraggeber eine Anlaufstelle. Nach erfolgreicher Premiere im vergangenen Jahr laufen auch für 2012 bereits die Vorbereitungen für das Festival Kreative Klasse. Vom 7. bis 16. September präsentiert sich der Verein an Ankerpunkten in der gesamten Stadt – eine Messe der Kreativwirtschaft, wenn man so will. Gleichzeitig läuft der von Unperfekthaus-Gründer Reinhard Wiesemann „Art Walk“, bei dem sich die Ateliers und Galerien im neuen Kreativquartier Nordstadt vorstellen.
Die Standpunkte: „Kreativwirtschaft ist nichts, was staatlich gefördert werden muss“, sagt Siegfried Schneider und widerlegt damit die oft kolportierte Meinung, die Branche existiere nur, weil sie am Tropf öffentlicher Mittel hänge. Vielmehr müsse ein entsprechendes Umfeld gefördert werden, wie aktuell die Essener Nordstadt. Denn wo sich Künstler und Musiker ansiedeln, da ist auch die Kreativwirtschaft mit ihren Werbern, Designern und Architekten nicht weit. Beste Beweise dafür sind Prenzlauer Berg in Berlin oder das Schanzenviertel in Hamburg.
Die Mitstreiter: Neben der Kreativen Klasse existieren einige weitere Netzwerke, wie etwa die Ruhrdesigner. Deren Schwerpunkt liegt klar auf Berufen der Designbranche. Ein komplett anderes Konzept verfolgt Reinhard Wiesemann vom Unperfekthaus. Er bietet eine vergleichsweise unkommerzielle Plattform, mit der Kreative sich auch ohne großes Budget entfalten und ins Gespräch kommen können. „Wir sitzen alle in einem Boot, auch wenn wir unterschiedliche Gruppen und Standpunkte vertreten“, sagt Michael Göke vom Vorstand der Kreativen Klasse.
Die Zukunft: „Wir möchten noch stärker Ansprechpartner für kreative Dienstleistungen werden. Heimische Betriebe sollen stärker als bislang wissen, dass sie eine gute Werbeagentur nicht in Hamburg oder München, sondern auch vor der Haustür finden können“, sagt Michael Göke. In Ansätzen gibt es zudem die Idee, einen Preis der Kreativen Klasse zu verleihen. Vorsitzende Judith Haselroth ist optimistisch: „Wir haben ohne Ende Ideen. Anfangs wurden wir belächelt, heute bekommen wir sowohl von der Essener Wirtschaftsförderung als auch von Unternehmen Rückenwind. Die wissen jetzt, dass Kreativwirtschaft keine brotlose Kunst, sondern ein wachsender und wichtiger Markt ist.“