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Immer mehr junge Einbrecherinnen im Ruhrgebiet: Essener Anwalt erklärt, warum die Mädchen kriminell werden

Immer mehr junge Einbrecherinnen im Ruhrgebiet: Essener Anwalt erklärt, warum die Mädchen kriminell werden

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Torsten Dercar vertritt mit seiner Frau junge Einbrecherinnen aus Roma-Familien. Foto: DER WESTEN/ Matthias Biesel
  • Essener Anwaltspaar vertritt mehr als 600 angeklagte Einbrecherinnen
  • Er erklärt, wie die jungen Roma-Familienmitglieder in die Kriminalität rutschen
  • Einer seiner Mandantinnen wird vorgeworfen, Mitglied eines Clans zu sein, der an einem Fünftel der Einbrüche in Deutschland beteiligt sein soll

Essen. 

Im Polizeijargon heißen sie „Arbeitsbienen“: Junge Mädchen, die mit Schraubenziehern und präparierten Plastikstücken auf Einbruchstour gehen. Viele von ihnen stammen aus Roma-Familien.

Gerade tagsüber brechen sie laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes ein. Die jungen Frauen, von denen manche noch Mädchen sind, erregen wohl weniger Verdacht, als eine Bande erwachsener Männer es vielleicht würde. Laut einem Artikel der „Zeit“ soll ein Familienclan ein Fünftel der Einbrüche in Deutschland begehen.

Die Staatsanwaltschaft München hat nun fünf mutmaßliche Strippenzieher wegen schwerer Bandenkriminalität angeklagt. Eine von ihnen: Viki B. Die 51-Jährige soll den Einbrecherinnen Schlafplätze in Gelsenkirchen angeboten haben. Rechtsanwalt Thorsten Dercar aus Essen vertritt B. vor Gericht. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

>> Hier findest du eine Datenbank der Polizei mit den konfiszierten Gegenständen

Herr Dercar, können Sie erklären, warum gerade junge Frauen aus Roma-Familien oft zu Einbrecherinnen werden?

Dercar: „Viele Angehörige in einigen Roma-Familien brechen ein und dieser Vorgang hat sich über Jahre entwickelt. Die genauen Gründe kenne ich nicht, daher kann ich nur Vermutungen wagen.

Für uns hört sich das seltsam an. Aber jeder in der Familie beschäftigt sich damit. Ich habe das mal als „Familybusiness“ bezeichnet. Natürlich hat das nichts mit der Herkunft zu tun. Man kann nicht davon ausgehen, dass jeder Roma ein Einbrecher ist.“

Wie werden aus jungen Frauen Einbrecherinnen?

Dercar: „Ich habe Elfjährige vertreten, die noch nicht strafmündig waren, aber beim Taschendiebstahl gepackt wurden. Die Familienangehörigen waren teils mit dabei. Dann gibt es in einem Alter von 15 bis Anfang 20 eine Vielzahl von Wohnungseinbrecherinnen.

Aber ich habe auch Mandantinnen, die deutlich älter sind. Sie übernehmen bei den Einbrüchen Rollen wie Aufsichtsführende oder Fahrerin.“

Sehen sie die jungen Einbrecherinnen eher als Opfer oder als Täterinnen?

Dercar: „Man bekommt häufig den Eindruck, dass die Mädchen einem Zwang unterliegen. In der Haft blühen sie regelrecht auf. Sie werden plötzlich aus ihrem Leben herausgerissen und haben nicht mehr den Druck, einbrechen zu müssen.

Auf der anderen Seite sehe ich, dass die Familien sich darum kümmern, dass es den Mädchen im Gefängnis gut geht. Eine Art der Zuneigung, die dagegen spricht, dass sie einem Zwang oder Gewalt unterliegen.“

Sind die Strukturen in den Familien organisiert?

Dercar: „Zumeist sind es ganz normale Familien. Nur mit dem Unterschied, dass sie ihr Geld mit Kriminalität verdienen. Mafiöse Strukturen würde ich mir anders vorstellen.“

Sie vertreten Viki B. in München vor Gericht. Laut Anklage soll sie jungen Einbrecherinnen Schlafplätze in Gelsenkirchen organisiert haben. Kommen besonders viele ihrer Mandantinnen aus dem Ruhrgebiet?

Dercar: „In den letzten zwei bis drei Jahren kamen überdurchschnittlich viele meiner Mandantinnen aus Gelsenkirchen. Das Bild des reisenden Täters birgt allerdings Potenzial für Missverständnisse. Wir haben nicht mit Personen zu tun, die aus dem Ausland kommen und im Ruhrgebiet auf Einbruchstour gehen. Die meisten sind in Gelsenkirchen sesshaft und ziehen von dort aus los.“

Wie kommt es, dass so viele junge Roma-Mädchen Sie als Anwalt wählen?

Dercar: „Da hat sich eine klassische Mund-zu-Mund-Propaganda entwickelt. Vor vier Jahren erinnerten sich drei Mädchen vor Gericht an meinen Namen. Vermutlich hatten ihnen Verwandte von mir erzählt. weil ich Französisch sprechen kann. Von da an bot ich an, auf Französisch zu korrespondieren.

Mittlerweile berate und vertrete ich zusätzlich auf Italienisch und lerne gerade noch Kroatisch. Die Leute müssen sich nicht extra einen Dolmetscher suchen – das ist ein wichtiger Aspekt.“

Welches Strafmaß erwartet die teils noch jugendlichen Einbrecherinnen?

Dercar: „Häufig findet Jugendstrafrecht Anwendung, das bis zum 21. Lebensjahr gelten kann. Dann müssen die Mädchen mit einem Arrest rechnen, wenn sie beim Einbrechen erwischt werden. Häufig ist der Arrest aber schon mit der Untersuchungshaft abgegolten.

Der nächste rechtliche Schritt wäre eine Bewährungsstrafe. Sollte diese Bewährung missachtet werden, folgt eine vollstreckbare Freiheitsstrafe, also Gefängnis.“

Wie reagieren Opfer von Einbrüchen auf die jungen Frauen?

Dercar: „Häufig tauchen Zeugen bei Gericht auf und sehen eine 15-Jährige auf der Anklagebank. Schnell wirkt der Betroffene gelöster. Sie sehen: Da war kein Schwerverbrecher in meiner Wohnung, sondern ein junges Mädchen. Die Jugendlichen haben zwar immer einen Schraubendreher dabei, aber eine Gefahr geht nie von ihnen aus. Wenn sie gefasst werden, lassen sie sich immer festnehmen.“

Hat denn schon mal eines der Mädchen vor Gericht ausgesagt?

Dercar: „Sie würden nie über Familienangehörige sprechen. Daher übernehme ich das Sprechen.“