zwischen Clan-Mitgliedern, überbelegte Schrott-Immobilien, Messerstechereien auf offener Straße: Duisburg-Marxloh steht bundesweit als Beispiel für einen gescheiterten Stadtteil.
Wer Medienberichte über Marxloh liest, könnte glatt Angst bekommen, hier mit seinem Auto an der Ampel zu halten. Ist Marxloh wirklich so gefährlich?
Vor Ort verdrehen einige bei dieser Frage nur die Augen. Es sind Menschen, die sich in Marxloh einbringen. Menschen, die im Duisburger Norden wohnen. Statt zu resignieren, weisen sie auf das Potential des Stadtteils hin.
Das andere Marxloh
Im Moment scheint es manchmal so, als sei Marxloh gelähmt. Die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl lag bei erschreckenden 33,8 Prozent – der niedrigste Wert in ganz Duisburg.
Haben die Marxloher ihren Stadtteil aufgegeben? „Nein“, sagen diese fünf Männer und Frauen, die sich in verschiedenen Bereichen in Marxloh engagieren. Gegenüber DER WESTEN haben sie gesagt, was ihnen Hoffnung für die Zukunft macht und wie man Marxlohs Probleme anpacken kann.
1. Halil Özet fordert „Marktplätze statt Parkplätze“
Halil Özet, was macht Ihnen Hoffnung für Marxlohs Zukunft?
Halil Özet: „Marxloh ist immer wieder gefallen und wieder auferstanden. Diese Energie hat Marxloh nunmal.
Und das spiegelt sich auch in der Brautmoden-Meile wider. Das ist kein Projekt, das von oben kam, sondern von den Bürgern. Welcher andere Stadtteil hat es sonst geschafft, internationale Kundschaft zu ziehen?“
Was muss sich verändern?
Özet: „Wir haben verschiedene Gruppierungen in Marxloh. Wir arbeiten derzeit intensiv daran, einen Treffpunkt zu schaffen, wo sich alle Leute austauschen können.
Wir brauchen eine Art Marktplatz, an dem die Menschen miteinander statt übereinander reden. Das gibt es derzeit hier nicht. Alle Marktplätze sind Parkplätze. Das kann nicht sein.“
2. Edeltraud Klabuhn will, dass die Marxloher sich nicht mehr abgestempelt fühlen müssen
Edeltraud Klabuhn, was macht Ihnen Hoffnung für Marxlohs Zukunft?
Edeltraud Klabuhn: „Am 1. April haben hier 3000 Schüler ein Fest („Marxloh kann“) für den Stadtteil gestaltet, weil sie es Leid waren, als Marxloher immer abgestempelt zu werden. Sie wollten zeigen, was sie wirklich können und sind.
Meine Hoffnung ist, dass wir diese Energie auch in andere Bereich übertragen können.“
Was muss sich verändern?
Klabuhn: „Wir arbeiten derzeit daran, dass an der Herbert-Grillo-Gesamtschule bis 2022 ein Campus für alle Marxloher entsteht.
Mein Traum ist es, dass diese Schule eine Anziehungskraft auch auf andere Stadtteile haben wird, weil die Menschen sehen, dass es hier Angebote gibt, die sie anderswo nicht finden.
Konkret möchten wir die Gesamtschule nicht nur für Schüler öffnen. Verschiedene Träger sollen dann auch Angebote für Erwachsene schaffen: Zum Beispiel Beratungsangebote in rechtlichen Fragen, Berufsorientierungs-Maßnahmen oder Sprachkurse.“
3. Lena Wiewell sagt: Die Menschen aus dem Stadtteil können eine Wirtschaftskraft schaffen
Lena Wiewell, was macht Ihnen Hoffnung für Marxlohs Zukunft?
Lena Wiewell: „Mir macht zum einen Hoffnung, dass die Brautmoden-Meile funktioniert und es somit eine Wirtschaftskraft im Stadtteil gibt.
Dazu wird Marxloh gerade zum Bildungsstandort: Wir haben die Perspektive, dass wir viele kluge Menschen anziehen, die Lust haben, sich hier verwirklichen wollen und die Potentiale des Stadtteils nutzen und schätzen.
Außerdem habe ich noch die Hoffnung darauf, dass wir irgendwann ein eigenes Kreativhaus etablieren können. Darin könnten wir gemeinsam mit den Menschen aus dem Stadtteil eine Wirtschaftskraft schaffen.
Denn viele können bereits total viel: Ich kenne Leute, die Käse machen, gut kochen, backen oder übersetzen – es gibt kein Kind, dass weniger als zwei Sprachen spricht. Das ist ein riesiges Potential.“
Was muss sich verändern?
Wiewell: „Das Land muss deutlich mehr Geld in Bildungseinrichtungen investieren. Es müssen mehr Lehrer in den Stadtteil – und zwar die besten und die klügsten. Darin liegt die Zukunft von Marxloh.
Persönlich möchte ich gern das rosa Haus da hinten kaufen (zeigt auf die Gertrudenstraße) und dort ein Kreativquartier errichten, wo zum Beispiel Künstler ansässig werden. Dazu könnten sich dort Geflüchtete einbringen, deren Bildungsabschlüsse nicht anerkannt werden.“
4. Frank Börner will Anbietern von Schrottimmobilien das Handwerk legen
Frank Börner, was macht Ihnen Hoffnung für Marxlohs Zukunft?
Frank Börner: „Das Leben in Marxloh ist bunt. Die Netzwerke funktionieren hier sehr gut. Und auch die Schulen engagieren sich im Stadtteil. Natürlich gibt es hier Probleme, aber auch viel Perspektive.“
Was muss sich verändern?
Börner: „Der Stadtteil ist insgesamt nicht so schlecht wie sein Ruf. Armutszuwanderung aus Osteuropa hat in den letzten Jahren für erhebliche Probleme gesorgt. Wir müssen den Menschen, die hier Schrott-Immobilien an die Ärmsten der Armen weiter vermieten, das Handwerk legen.
Die Stadt arbeitet mit ihrer Task Force aktiv gegen diese Vermietungs-Gesellschaften. Das haben wir auch schon in einigen Fällen geschafft. Wenn wir das Thema im Griff haben, wird die Gesamtentwicklung auch wieder nach vorne gehen.“
Nur 33,8 Prozent der Marxloher haben gewählt: Wie wollen Sie die Menschen wieder erreichen?
Börner: „Wir müssen den Menschen mit noch mehr Präsenz zeigen und vermitteln, dass wir die Kümmerer sind.
Wir sind die, die das Thema Schrott-Immobilien angepackt haben. Doch in einem Rechtsstaat dauert die Umsetzung mancher Maßnahmen zum Teil etwas länger.“
5. Volker Eichener will Schlüsselpersonen, die zwischen den Welten vermitteln
Volker Eichener, was macht Ihnen Hoffnung für Marxlohs Zukunft?
Volker Eichener: „Wir wissen, dass Migranten überproportional häufig an Existenzgründungen beteiligt sind. Und dass sie auch in Marxloh eine eigene Ökonomie geschaffen haben. Uns muss es gelingen, diesen Markt zusätzlich mehr für Deutsche zu öffnen.
Dabei können Leute mit Bildungshintergrund aus dem Quartier helfen. Denn ich habe beispielsweise noch nie einen Türken gesehen, der Karriere gemacht hat und dann seine Wurzeln vergessen hätte.“
Was muss sich verändern?
Eichener: „In Marxloh haben sich Parallelgesellschaften verschiedener Zuwanderungsgruppen entwickelt. Daneben gibt es aber auch genügend Geschäftsleute und Akademiker unter den Migranten.
Man muss Schlüsselpersonen ausfindig machen, die erfolgreich zwischen den Welten pendeln und eine Vermittlerrolle einnehmen können.
Ich rede von einem „Marxloh-Team“ von über 20 Personen aus vielen verschiedenen Bereichen: Politik, Religion, Kultur, Immobilien, Tourismus, Gastronomie und dem sozialen Sektor.
Um das Quartier aufzuwerten, müssten diese Schlüsselpersonen die Stärken der Menschen aus den verschiedenen Ländern fördern. Sie könnten etwa beim kulinarischen Angebot ansetzen, eine Aufwertung der Restaurantszene oder Kochkurse. Warum nicht auch eine Art orientalischer Basar, den es so in anderen Städten nicht gibt?
Für ein solches soziokulturell-ökonomisches Programm bedarf es allerdings staatliche Hilfe.“