Duisburg.
Junge Muslime mit dem Holocaust konfrontieren, das macht der Duisburger Sozialarbeiter Burak Yilmaz (31) seit Jahren erfolgreich. So erfolgreich, dass er kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Der 30-Jährige fährt regelmäßig mit Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund nach Auschwitz. In diesem Herbst hat Yilmaz zusammen mit dem gemeinnützigen Verein „Jungs e.V.“ ein Videoprojekt ins Leben gerufen. Darin erzählen muslimische Jugendliche über ihre ganz persönlichen Erfahrungen zum Thema Antisemitismus.
Wir haben mit dem Duisburger Pädagogen über das Video-Projekt, Fahrten nach Auschwitz und patriarchalische Familienstrukuren gesprochen.
Herr Yilmaz, wie kam es zu dem Videoprojekt „Junge Muslime gegen Antisemitismus“?
Im März habe ich von einem Fall einer Schülerin in Berlin gehört, die bedroht wurde, weil sie Jüdin ist. Das sind Alltagszenen, die wir auch in unserer Arbeit in Duisburg immer wieder erleben. Wir haben dann ein Crowdfunding-Projekt gestartet, schnell das Geld zusammengehabt, die Videos gedreht und hochgeladen.
Die Idee dahinter war: die meisten Jugendlichen verbringen mehr als die Hälfte ihrer Zeit im Netz, gerade bei Youtube und Facebook findet sich häufig Antisemitismus und oft gibt es keine Gegennarrative. Das wollten wir ändern.
Sie engagieren sich schon mit Ihrem Vereinsprojekt „Heroes“ mit Theaterstücken, Workshops an Schulen und Fahrten nach Auschwitz. Warum ein Videoprojekt?
Die einfache Idee: Wir wollten Haltung zeigen im Internet, uns klar positionieren. Wir wollen im nächsten Jahr unser Theaterstück bundesweit aufführen. Das liegt uns am Herzen. Aber mit dem Theaterstück erreichen wir keine 100.000 Menschen. Die fünf Kurzfilme wurden bei Facebook dagegen mehr als 100.000 Mal aufgerufen.
Wie kamen die Videos an?
Sehr positiv. Es kamen viele positive Zuschriften. Wir haben gesehen, dass wir die schweigende Mehrheit gut erreichen konnten. Natürlich gab es auch böse Kommentare, fiese Beleidigungen wie „ihr Heuchler“ oder „Ihr gehört auch nach Auschwitz“.
Auch in der türkisch-arabischen Community, bei den Familien der fünf Protagonisten, ist das Videoprojekt sehr unterschiedlich aufgenommen worden. Manche der Älteren fanden es großartig, anderen passte es gar nicht, weil Antisemitismus Teil ihrer Identität ist. Und wir stellen diese Identität mit den Videos in Frage.
In den Videos erzählen die fünf Jungs von ihren eigenen Erfahrungen mit Antisemitismus. Was ist das Besondere daran?
Die Protagonisten waren bei der Fahrt nach Auschwitz dabei. Die Geschichten, die wir in den Kurzvideos erzählen, sind alle autobiografisch. Wir erzählen von uns selbst, wir kennen alle Antisemitismus aus unserem Alltag. Deshalb haben wir auf persönliches Storytelling gesetzt, weil das die Menschen emotional erreicht.
Welche Erfahrungen von Antisemitismus haben Sie in Ihrer Arbeit als Pädagoge in Duisburg gemacht?
Antisemitismus ist an vielen Duisburger Schulen ein großes Problem. Was mich besonders stört, ist ein Mechanismus: Es wird ein jüdischer Schüler geschlagen oder gemobbt. Und meist verlassen danach die Opfer die Schulen, nicht die Täter. Dabei sollte es genau anders herum sein.
Gerade an Duisburger Schulen wird zum Teil sehr offen Antisemitisches ausgesprochen. Oft gibt es dort zwar gar keine jüdischen Schüler. Jugendliche benutzen Wörter wie „Du Jude“ als Beleidigung oder streichen Israel von der Weltkarte im Atlas. Wenn dann Lehrer weghören oder nicht eingreifen, haben die Jugendlichen das Gefühl, dass ihr Verhalten in Ordnung ist.
Ich habe selbst Lehramt studiert und hier fehlt es meiner Meinung nach an der praktischen Ausbildung. Wie als Lehrer reagieren? Auch in der Politik fehlt oft die Sensibilität. Es wird nur nach Gewalttaten über Antisemitismus gesprochen, da müssen wir schneller sein. Es fehlt ein Aktionsplan.
Welche Jugendlichen kommen zu euch und machen bei den Projekten mit?
Wir stellen die Projekte an Schulen vor. Die meisten Jugendlichen sind in patriarchalischen Familienstrukturen aufgewachsen. Das Patriarchalische beruht darauf, dass „richtige Männer“ die Stärkeren sind und die Juden die Schwächeren. Das Weltbild basiert zudem auf einer starken Männlichkeit.
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In den letzten Jahren wurde viel über die Flüchtlingskrise, aktuell über kriminelle Clans gesprochen und diskutiert. Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, damit Integration gelingen kann?
Es muss flächendeckende Angebote für Jugendliche geben, nicht nur in Duisburg. Eltern, Schulen, Behörden müssen zusammenarbeiten.
Denn Stadtteile wie Hochfeld oder Obermarxloh sind strukturschwach, vielen Jugendlichen fehlen die Perspektiven. Sie haben das Gefühl, dass ihre Stimme keinen Wert hat und dass sie nicht Teil dieser Gesellschaft sind. Sie greifen daher auf die bekannten Familien-Strukturen zurück, finden dort Anerkennung. Da müssen wir da sein! Wir müssen diese Menschen für uns gewinnen und nicht irgendwelche Clan-Chefs.