Bei einem Sorgerechtsstreit hat die Stadt einen zehnjährigen Jungen gegen den Willen seines Vaters über ein halbes Jahr in einem Wohngruppe untergebracht. Nun soll der Vater dafür über 2600 Euro zahlen. Ausgelöst worden war die Unterbringung des Jungen von einem fehlerhaften Gutachten. Wir erläutern die Hintergründe des komplizierten Falls.
Dortmund.
Um was ging es genau bei dem Sorgerechtsstreit?
Der damals zehnjährige Junge wollte zu seinem Vater. Um die Ernsthaftigkeit des Kindeswillens festzustellen, ordnete das Familiengericht an, den Sohn in einer zeitlich befristeten Diagnosegruppe unterzubringen. Der Aufenthalt dort dauert in der Regel drei Monate.
Wo hat der Junge bis dahin gewohnt?
Zunächst immer bei der Mutter. Doch weil es im Herbst 2012 zu Problemen zwischen Mutter und dem damals neunjährigen Sohn gekommen war, hatte der Junge von Januar bis September 2013 mit Zustimmung der Mutter zur Probe beim Vater gelebt.
Warum wurde das geändert?
Eine Gutachterin des Familiengerichts sah in dem Probewohnen das Kindeswohl gefährdet. Der Junge bleibe so in „Schwarz/Weiß-Denken gegenüber der Mutter“ verhaftet, hatte die Diplom-Psychologin erklärt. Sie hatte Vater und Sohn beim Schachspiel sowie Mutter und Sohn beim Monopolyspiel beobachtet, zwei Gespräche geführt und daraus ihre Schlüsse gezogen. Eine Trennung von den Eltern sollte den Loyalitätskonflikt lösen, in dem der Junge zwischen den Eltern steckte.
Ist das Familiengericht der Gutachterin gefolgt?
Ja, es verfügte die Unterbringung in einer Diagnosegruppe. Davon abweichend brachte das Jugendamt den Jungen aber in einer Wohngruppe in Unna unter – gegen den Willen des Vaters. Eine Diagnostik soll dort nicht erfolgt sein, dagegen kam der Jungen nach Aussage des Vaters mit Alkohol, Drogen und Aggressionen in Berührung. Als er das Jugendamt darüber informiert habe, so der Vater, habe dieses ihm ohne Angaben von Gründen den Kontakt zu seinem Sohn eingeschränkt.
Ist der Vater dagegen vorgegangen?
Mit seinem Anwalt wehrte er sich gegen das Gutachten und konnte es widerlegen. Nach einem zweiten Gutachten, das das Familiengericht darauf in Auftrag gegeben hat, erwies sich die vorläufige Einschätzung der ersten Gutachterin als nicht haltbar. Bereits am 28. November 2014 verfügte das Familiengericht, dass der Junge endgültig beim Vater leben könne, mit Beschluss vom 11. Dezember 2014 bekam der Vater die elterliche Sorge zugesprochen.
Wie viel und warum soll der Vater jetzt für die Heimunterbringung zahlen?
Die Rechnung, die die Stadt dem Vater geschickt hat, beläuft sich auf 2628,97 Euro. Prinzipiell bestehe eine Kostenbeitragspflicht des Elternteils, unabhängig davon, ob die Unterbringung eines Kindes im Einverständnis oder ohne Zustimmung des Elternteils geschehe, teilt Stadtsprecherin Anke Widow mit.
Ist der Vater bereit zu zahlen?
Nein, bisher lehnt er das ab, trotz Androhung von Vollstreckung. Er klagt inzwischen vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Nach Meinung des Vaters und seines Rechtsanwalts war schon der gerichtliche Unterbringungsbeschluss für eine Diagnosegruppe fehlerhaft, ebenso wie die eigenmächtige Entscheidung des Jugendamtes, den Jungen monatelang in einem Wohnheim unterzubringen. Das sei „rechtswidrig“ gewesen. Deshalb müsse der Vater nicht zahlen.
Was sagt die Stadt dazu?
Zu laufenden Gerichtsverfahren nimmt sie grundsätzlich keine Stellung. Stadtsprecherin Anke Widow erklärte lediglich, der Ausgang des Verfahrens werde abgewartet: „So lange erfolgt keine Vollstreckung.“
2015-05-05 03:28:00.0