Was geschah am 4. April 2006 beim Mord am Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik und wie ermittelten anschließend die Beamten? Diesen Fragen ist am Donnerstag der NSU-Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag nachgegangen. Der zuständige Staatsanwalt, die Leiterin der Mordkommission und eine Zeugin sagten aus.
Dortmund/Düsseldorf.
Aktualisierung 15.40 Uhr: Ermittlungsleiterin glaubte nicht, dass Kubasik Drogenhändler war
Die letzte Zeugin des Tages ist Barbara L. Sie leitete die Mordkommission im Fall „Kubasik“ etwa vier Wochen lang von April bis Mai 2006. Am Tag der Tat wurden die Beamten zunächst unter der Einsatzmeldung „Raub mit Todesfolge“ zum Kiosk gerufen. Ein Raub sei aber schnell auszuschließen gewesen, so L.. „Weil ja auch kein Geld fehlte.“ Über Mails aus ihrer Dienststelle habe sie von der riesigen Sonderermittlungskommission „BAO Bosporus“ erfahren, die zu diesem Zeitpunkt bereits an einer Mordserie von sieben Fällen ermittelte. Sie informierte den zuständigen Beamten. „Spät nachmittags hatten wir das Ergebnis, dass wir Fall acht der Serie sind“, sagte die 54-Jährige.
Zu Beginn der Ermittlungen hätte es Hinweise darauf gegeben, dass der Vorbesitzer des Kiosks mit Drogen zu tun gehabt hätte. Im Hinterraum des Ladens habe man auch minimale Spuren von Rauschgift gefunden, die aber nicht Kubasik, sondern dem Vorbesitzer zugeordnet wurden.
Gamze und Elif Kubasik, Tochter und Frau des Ermordeten, hatten bei ihrer Aussage im Untersuchungsausschuss am Mittwoch beklagt, dass sie die Polizei durch die Ermittlungen in der Nachbarschaft als Rauschgifthändler dargestellt hätte. So hätten Beamten Jugendlichen aus der Nachbarschaft ein Foto von Mehmet Kubasik gezeigt und gefragt, ob ihnen dieser Mann Drogen angeboten hätte. Barbara L. sagt, dass sie dies nicht ausschließen könne, da sie selbst nicht vor Ort war. Von ihr seien aber keine Anweisungen für weitere Ermittlungen in Sachen Rauschgift an die Kollegen ergangen. „Meiner Meinung nach ist auszuschließen gewesen, dass die Familie Kubasik etwas mit Rauschgift zu tun hat“, so L..
Einen rechtsradikalen Hintergrund habe sie zu Beginn nicht vermutet. In einem Vermerk der Polizei vom 5. April, zwei Tage nach der Tat, sei geschrieben worden, dass Zeugin J.D. zwei Verdächtige gesehen habe, die aussahen wie „Junkies“. J.D. hatte in ihrer Aussage vor dem Ausschuss kurz zuvor betont, dass sie schon zu Beginn von „Junkies oder Nazis“ gesprochen hätte. Der Begriff „Nazis“ tauchte in einem späteren Protokoll auch auf, nicht aber im Vermerk vom 5. April. „Das wüsste ich auch gerne, wer diesen Begriff eingeführt hat“, sagt Barbara L.. Es habe keinerlei weitere Anhaltspunkte für eine Ermittlung nach rechts gegeben.
Der Kiosk wurde von einer Kamera überwacht, die aber zum Zeitpunkt der Tat nicht aufzeichnete. L. sagt, sie habe damals keine Befragungen durchgeführt, um herauszufinden, wer davon gewusst hätte. „Normalerweise hätte der Täter davon ausgehen müssen, dass die Kamera funktioniert.“
Aktualisierung 13.30 Uhr: Zeugin erinnert sich
Als zweite Zeugin wurde am Donnerstag die 42-jährige J.D. vernommen. Die Frau hatte am Tattag im Kiosk von Mehmet Kubasik Zigaretten kaufen wollen. Auf dem Weg dorthin seien ihr zwei Männer entgegengekommen. Einer mit Fahrrad, einer ohne. Einer von beiden hätte ihr „böse und abwertend“ in die Augen geschaut. J.D.: „Der Blick ist mir heute noch präsent.“
Die beiden hätten wie „Junkies oder Nazis“ ausgesehen, das sei ihr erster Eindruck gewesen. Zu dem steht sie auch noch heute. Sie sei dann in ihre Wohnung gegangen, dort rund 10 Minuten geblieben und habe dann, auf dem Weg in die Innenstadt, erneut im Kiosk Zigaretten holen wollen. Da hätten die beiden Männer noch gestanden; um ihnen nicht zu begegnen, sei sie nicht mehr in den Kiosk gegangen.
Gegen 16.30 Uhr sei sie wieder zurück in die Mallinckrodtstraße gekommen, dort habe sie erfahren, was geschehen sei. „Ich habe zu meiner Mutter direkt gesagt: Ich weiß, wer das war.“ Später sei sie von der Polizei vernommen worden, unter anderem seien ihr gut 2000 Bilder vorgelegt worden, weiter wurde ein Phantombild erstellt. Die Polizei habe sie nach den Vernehmungen immer nach Hause gefahren, aber nie vor der Haustür abgesetzt. „In der Zeit war ich total fertig und konnte lange nicht schlafen.“ J.D. kann sich laut eigener Aussage nicht daran erinnern, nach ihrer ersten Aussage noch einmal mit Polizisten über Nazis gesprochen zu haben.
Aktualisierung 11.49 Uhr: Staatsanwalt hatte keine Hinweise auf Neonazi-Hintergrund des Mordes
Seit gut zwei Stunden sagt ein auskunftsfreudiger und selbstbewusster Dr. Heiko Artkämper vor dem Untersuchungsausschuss aus. Der Staatsanwalt leitete damals die Ermittlungen.
Er sei, so Artkämper, am 4. April 2006 gegen Mittag über ein Tötungsdelikt an der Mallinckrodtstraße informiert worden. Er könne sich noch gut an das Szenario erinnern, da er sich an einer Absperrung der Polizei habe legitimieren müssen; das sei ungewöhnlich gewesen. Kubasik habe in Rückenlage auf dem Boden gelegen, ein Raubhintergrund lag offenkundig nicht vor, da weder Geld noch Waren fehlten.
Die Ermittler hätten relativ schnell herausgefunden, dass die Tat in eine Serie fiel. Der Tatort sei sehr spurenarm gewesen. Erste Arbeitsansätze seien die Durchleuchtung des persönlichen Umfeldes des Opfers und eine Konzentration auf Rauschgiftkriminalität gewesen. Nur wenige Gehminuten vom Tatort sei ein damaliger Schwerpunkt der Drogenkriminalität gewesen, dort hätte es schwere Körperverletzungen und versuchte Tötungsdelikte gegeben.
Mögliche Hypothesen zur Tat seien, so Artkämper, folgende gewesen:
- Sämtliche Opfer verbinde etwas
- Es gebe eine Gruppe, bei der ein Zeichen gesetzt werden soll. „Die Verwendung einer Waffe über mehrere Taten hinweg könnte ein Zeichen sein“, so Artkämper
- Bei dem oder den Tätern könne es sich „um einen oder mehrere durchgeknallte Typen gehandelt haben“
Insgesamt habe man kein Packende gefunden, alles war „nach einer gewissen Zeit leer gelaufen“.
Zu der Opferfamilie hatte Artkämper laut eigener Aussage keinen persönlichen Kontakt. Die von Opferangehörigen erhobenen Vorwürfe, sie seien durch die Ermittlungsarbeit kriminalisiert worden, kann der 56-jährige Staatsanwalt offenkundig nicht nachvollziehen: Die Arbeit der Mordkommission sei eine durchaus übliche gewesen, Artkämper habe „bei der Lektüre der Akten keine Stelle gefunden, bei der ich sagen könnte, da hat jemand über die Stränge geschlagen“.
Um im rechtsradikalen Milieu zu ermitteln, habe er „nichts gehabt“. Der Umstand, dass sich im Umfeld ein Treffpunkt der Neonaziszene befunden hatte, reiche nicht aus. Artkämper wörtlich: „Ein Hinweis muss eine gewisse Qualität haben, damit ich ihm nachgehe.“ Entsprechende Informationen aus dem Bereich des Staatsschutzes habe es nicht gegeben, verdeckte Ermittler seien nicht eingesetzt worden. Das Ermittlungsverfahren wurde dann am 15. November 2008 eingestellt – drei Jahre später wurde der NSU enttarnt.
Vorbericht 9.40 Uhr: Diese Zeugen sagen aus
Im Ausschuss, der vorrangig die Aufgabe hat, herauszufinden, ob das NSU-Trio in NRW Unterstützer hatte, stellt sich heute zunächst Dr. Heiko Artkämper den Fragen der Ausschussmitglieder. Artkämper hatte bereits im Juli 2015 kurz vor dem hessischen Untersuchungsausschuss ausgesagt.
Die Zeugin J. D. hatte bereits 2013 im Münchener NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht ausgesagt. Sie hatte am Tattag, als gegen 12.55 Uhr Mehmet Kubasik in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße 190 erschossen worden war, zwei Männer am Kiosk beobachtet, die sie später als „Junkies oder Nazis“ bezeichnete.
Angehörige des Mordopfers kritisierten Polizei
Zwei Dortmunder Polizeibeamte, Barbara L. und Michael S., die damals im Mordfall Kubasik ermittelten, werden anschließend vernommen.
Bereits am Mittwoch hatten Elif und Gamze Kubasik, die Ehefrau und die Tochter des Opfers, vor dem Ausschuss ausgesagt und dabei die Ermittlungsarbeit der Polizei schwer kritisiert. Die Beamten hätten Mehmet Kubasik mit ihrer einseitigen Ermittlungsarbeit als Kriminellen dargestellt, der er nicht gewesen sei.
Wir berichten im Anschluss an die Befragungen.
2016-01-15 09:40:00.0