Envio-Chef Neupert weist Vorwürfe im PCB-Skandal zurück
Riesiges Medieninteresse am Landgericht Dortmund: Seit Mittwoch läuft der Prozess zum PCB-Skandal der Entsorgerfirma Envio, auf der Anklagebank sitzen die vier Hauptbeschuldigten. Firmenchef Dirk Neupert verfolgte 45 Minuten lang regungslos die Anklageschrift, sein Anwalt bestritt alle Vorwürfe.
Dortmund.
Am Dortmunder Landgericht startete am Mittwoch um 9.15 Uhr der Prozess gegen die Hauptbeschuldigten im PCB-Skandal der Dortmunder Firma Envio. Umrahmt von einem riesigen Medieninteresse und vor gut gefüllten Zuschauerbänken im Schwurgerichtssaal 130 verlas die Staatsanwaltschaft 45 Minuten lang die Anklageschrift. Envio-Chef Dr. Dirk Neupert, der dabei keine Miene verzog, und drei weitere ehemalige Mitarbeiter sitzen auf der Anklagebank.
Kernvorwurf der Staatsanwaltschaft ist vorsätzliche Körperverletzung in 51 Fällen und und der besonders schwere Fall einer Umweltstraftat. Envio habe durch illegale Giftgeschäfte eine große Zahl von Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebracht, hieß es in der Anklage von Mai 2011. Motive seien laut Staatsanwaltschaft Profitmaximierung und Gewinnsucht gewesen, hieß es bei der Verlesung der Anklageschrift.
Envio-Chef Neupert wollte sich am Mittwoch nicht selbst zu den Vorwürfen äußern, dafür wies aber sein Anwalt Ralf Neuhaus alle Vorwürfe zurück. In der Erklärung für seinen Mandanten bestritt Neuhaus eine Verantwortung Neuperts für den PCB-Skandal, er könne strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden. Neupert würde es, so sein Verteidiger, bedauern, dass Envio-Mitarbeiter gesundheitliche Schäden davon getragen hätten. Laut Neuhaus sei aber nicht nachgewiesen, dass die erhöhten PCB-Werte im Blut der ehemaligen Angestellten durch Missstände bei Envio entstanden seien. Gleiches gelte für die Gesundheitsschäden.
Kritik an Medien und Minister
Neupert kritisierte über seinen Anwalt auch die Medien und die Berichterstattung. Diese sei nicht neutral erfolgt, es habe eine „erschreckende Parteilichkeit“ gegeben.
ÜbersichtAuch Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel von den Grünen bekam sein Fett weg. Dieser habe die Gewaltenteilung missachtet, da er das Gericht laut Neuhaus manipulieren wollte. Für den Neupert-Anwalt ist dies „populistisch und unverschämt“.
15 Nebenkläger mit Promi-Anwalt Birkenstock
Zwei Jahre nach den ersten Berichten der Westfälischen Rundschau wird der PCB-Skandal nun vor der 35. Strafkammer unter Vorsitz von Richter Thomas Kelm verhandelt. Die insgesamt 15 Nebenkläger, von denen nicht alle am Mittwoch ins Landgericht kamen, werden u.a. von Promi-Anwalt Reinhard Birkenstock vertreten, der ebenfalls großes Interesse im Schwurgerichtssaal auf sich zog.
Für den Prozess sind nach dem Beginn weitere 14 Verhandlungstage angesetzt, der letzte ist für den 10. August geplant. Da aber die ersten sechs bis sieben Verhandlungstage Order mit umweltpolitische Richtlinien und Genehmigungen durchgearbeitet und verstanden werden müssen, können Zeugen erst danach vernommen werden. Somit rechnet das Gericht nicht wie anvisiert mit einem Urteil Mitte August, sondern sehr viel später.
Ärzte fordern mehr Hilfe für Envio-Opfer
Parallel dazu meldet sich eine Gruppe Dortmunder Ärzte zu Wort, die noch einmal auf die erschütternden Ergebnisse des medizinischen Nachsorgeprogramms verweisen.
Gut 25 Ärzte und Psychotherapeuten fordern in einem offenen Brief an die drei Landesminister Johannes Remmel (Umwelt), Barbara Steffens (Gesundheit) und Guntram Schneider (Arbeit) die Einrichtung einer Referenzgruppe. Nur sie werde in der Lage sein, „in einem vergleichbaren Industriegebiet die entscheidenden Beweise für die langfristige Auswirkung der Toxizität von Umweltgiften wie PCB auf die Bevölkerung zu liefern“. Die Ärzte schreiben von aktuell 44 Anträgen auf Anerkennung von Berufserkrankungen im Envio-Fall.
Viele ehemalige Envio-Arbeiter bräuchten auch psychisch Hilfe
Die stark verunsicherte und traumatisierten ehemaligen Mitarbeiter und ihre Familien hätten neben der medizinischen Behandlung auch psycho-soziale Hilfsangebote nötig, schreiben Dr. Ulrike von Campenhausen und Dr. Matthias Albrecht.
„Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und chronische Krankheit, verschuldet durch kriminelle Arbeitsbedingungen und behördliches Wegsehen sind durch die Einrichtung eines Hilfs- und Entschädigungsfonds wenigstens teilweise zu kompensieren“, heißt es in dem Brief.