Ein Mitglied des NRW-Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden glaubt, dass die Gruppe Unterstützung von einem prominenten Dortmunder Neonazi hatte.
Dortmund.
Tatort Mallinckrodtstraße: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landes NRW hat am Dienstag den Ort besucht, an dem Mehmet Kubasik starb. Seine Mitglieder wollten „genauer hinschauen“ und herausfinden: Hatte das NSU-Trio Unterstützer in Nordrhein-Westfalen? Ein Abgeordneter glaubt genau daran.
Von außen betrachtet könnte man die Veranstaltung für einen Betriebsausflug halten. Ein silberner Bus setzt sich am Dienstag gegen 13.10 Uhr am Nordausgang des Hauptbahnhofes in Bewegung, auf ihm steht „unterwegs mit netten Menschen“ geschrieben. Im Bus geht eine Anwesenheitsliste herum. Das kleine „Landtag NRW“-Schild, das eilig an die Frontscheibe geklebt wurde, gibt den ersten Hinweis, je zwei Motorradpolizisten vor und hinter dem Bus den nächsten, dass das kein Ausflug ist. Der NSU-Untersuchungsausschuss ist in der Stadt. Nächster Halt: Tatort.
NSU-Morde in Dortmund und Köln
„Genauer hinschauen“ wollte der in NRW eingesetzte Untersuchungsausschuss, hieß es damals im November 2014, als er seine Arbeit in Düsseldorf aufnahm. Die Taten, die dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in NRW zur Last gelegt werden, zwei Bombenattentate in Köln und ein Mord in Dortmund, beschäftigen ihn. Dazu weitere Taten, wie der bis heute ungeklärte Bombenanschlag von Düsseldorf-Wehrhahn mit zehn Schwerverletzten oder auch der Dreifachmord des Neonazis Michael Berger. Sowie die Frage, wie sich die rechte Szene Mitte der 90er Jahre radikalisierte.
Eins von zwei Jahren Arbeitszeit ist vorüber, bisher standen die Anschläge in Köln im Vordergrund, ab Anfang 2016 könnte, so heißt es, der Mord in Dortmund in den Fokus rücken. Peter Biesenbach, Obmann der CDU-Fraktion im Untersuchungsausschuss, steht vorne im Bus, als die kurze Fahrt beginnt. Er nimmt ein Mikrofon in die Hand und sagt: „Wir kennen bis jetzt das Geschehen nur aus den Akten.“
Mord am 4. April 2006
In den Akten dürfte mehr stehen, als öffentlich bekannt ist, aber im Kern läuft es auf den folgenden Sachverhalt hinaus: Am 4. April 2006 wird der damals 39 Jahre alte Mehmet Kubasik gegen 12.55 Uhr in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße erschossen. Zwei Kugeln treffen den Familienvater in den Kopf. Sie stammen aus der Waffe, mit der acht weitere Männer zwischen 2000 und 2006 erschossen wurden.
Der Bus fährt einen kleinen Umweg. Hinten, am Hafen fädelt er sich auf die Mallinckrodtstraße ein, fährt an der Hausnummer 278 vorbei. „Hier wohnte ein Dortmunder Neonazi“ sagt Biesenbach. Er nennt keinen Namen, aber es handelt sich um Siegfried Borchardt, besser bekannt als „SS-Siggi“, rechtsradikal seit Jahrzehnten und fast genauso lang so etwas wie die Leitfigur der Dortmunder Neonaziszene. Dass genau auf der anderen Straßenseite der „Deutsche Hof“ liegt, in dem Borchardt über viele Jahre Hof hielt, sagt Biesenbach nicht.
Siegfried Borchardt könnte Unterstützer des NSU gewesen sein
Auf die Frage, warum er auf das Haus mit der Nummer 278 hingewiesen hat, wird Biesenbach später sagen, dass es Hinweise darauf gebe, dass Borchardt ein Unterstützer des NSU gewesen sein könnte. Ob Biesenbach das glaubt? Er winkt ab. „Ich glaube gar nichts, wir müssen wissen.“ Mehrere hundert Meter von der 278 entfernt hält der Bus vor dem ehemaligen Kiosk, der heute als solcher nicht mehr erkennbar ist. Hier starb Kubasik, eine Steintafel erinnert an ihn. Die Ausschussmitglieder steigen aus, laufen herum, schauen in die Hinterhöfe, viele waren noch nie hier.
Andreas Kossiski ist Landtagsabgeordneter, Ausschuss-Obmann der SPD-Fraktion. Und ehemaliger Polizist. Als er als Obmann berufen wurde, gab es Kritik an dieser Personalie. Es hieß, er sei Leiter der Kölner Polizeipressestelle zu Zeiten der Bombenanschläge gewesen. Was nicht stimmt, sagt Kossiski gestern, mit dem operativen Geschäft habe er nichts zu tun gehabt. Heute ist er hier als Ausschussmitglied und wenn man ihn fragt, was er als ehemaliger Polizist von diesem Tatort, der ja mittlerweile ganz anders aussieht, erwartet, antwortet er mit einer Gegenfrage: Was denn ein Tatort sei? Für ihn ist es das ganze Umfeld und er erkennt hier, sagt er, eine vielbefahrene Straße mit einem „Wahnsinnsverkehr“, die insofern das Risiko der Entdeckung für den Täter vergrößere und daher dessen absolute Kaltblütigkeit unterstreiche. Und auch hier stelle sich die Frage: „Wie kommen Täter aus Thüringen auf genau diesen Ort in Dortmund? Ich glaube nicht mehr, dass zwei oder drei Leute diese Serie alleine begangen haben.“
Später, wieder im Bus, sagt auch Wilfried Albishausen, seit März 2015 wissenschaftlicher Referent für die CDU-Fraktion im Untersuchungsausschuss, ebenfalls ehemaliger Polizist, „aus kriminalistischer Erfahrung glaube ich an Unterstützer„. Was beide Menschen glauben, ist letztlich die zentrale Frage, die der Ausschuss zu beantworten hat: Hatte das NSU-Trio Unterstützer in Nordrhein-Westfalen? Menschen also, die von der Existenz des NSU wussten und ihn mit Informationen über mögliche Anschlagziele versorgten?
Ausschuss ermittelt bis zum Frühjahr 2017
Bis zum Frühling 2017 bleibt den Ausschussmitgliedern Zeit, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Wenn man die Mitglieder und wissenschaftlichen Mitarbeiter an diesem düsteren Dienstag in Dortmund fragt, was am Ende der Parlamentarische Untersuchungsausschuss liefern wird, sagen sie fraktionsübergreifend alle ungefähr dasselbe: Dass man das am Ende sehen werde.