Die Countdown für die Bundestagswahl am Sonntag (23. Februar) läuft. Die Parteien kämpfen um Wählerstimmen – und zwar nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den einzelnen Städten.
Die Linken-Politikerin Cansin Köktürk geht für Bochum als Direktkandidatin zur Bundestagswahl ins Rennen. Die 31-Jährige arbeitet zeitgleich als Sozialarbeiterin in der Pottstadt und will das auch nach der Wahl weiter tun. Zudem gab sie auf Instagram ein großes Versprechen. Und zwar sei sie bereit, „einen großen Teil“ ihres Abgeordnetengehalts abzugeben.
Warum sich auch andere Parteien ihrer Ansicht nach daran ein Vorbild nehmen sollten, hat die Linken-Politikerin im Interview mit DER WESTEN verraten.
Bochum: Cansin Köktürk ist Politikerin und Sozialarbeiterin
Wir stehen kurz vor der Bundestagswahl. Sie sind Sozialarbeiterin und wollen es definitiv auch bleiben. Warum ist Ihnen das wichtig?
Cansin Köktürk: Ich bin über die soziale Arbeit erst zur Politik gekommen. Ich wollte die Umstände und die Armut, die ich mitbekommen habe, nach außen tragen. Ich möchte nicht nur einzelnen Menschen helfen, sondern das System dahinter ändern. Wir bieten in Bochum beispielsweise Sozialsprechstunden an und das soll auch so bleiben. Ich möchte einfach nah dran sein, um die Interessen der Menschen im Parlament vertreten zu können.
Was kriegen Sie mit, was sind die Sorgen und Ängste der Menschen?
Neben meinem Beruf haben wir allein in Bochum an 8.000 Haustüren geklingelt und die Menschen berichten uns am meisten über die steigenden Mieten, steigende Energie- und Lebensmittelpreise durch die Inflation sowie marode Schulen.
Wie sieht die Lösung der Linken aus, um diese Probleme und Sorgen in den Griff zu kriegen?
Wir brauchen faire Löhne, einen Mindestlohn von mindestens 15 Euro, mehr Tarifbindung aber auch sichere Arbeitsplätze. Es kann einfach nicht sein, dass die Menschen sich krumm arbeiten und trotzdem am Ende nichts übrig bleibt. Wohnen ist aus unserer Sicht ein Grundrecht, deshalb fordern wir einen Mietdeckel und eine Mietpreisbremse sowie den massiven Ausbau von Sozialwohnungen. Es gibt einfach viel zu wenige Wohnungen, die sich insbesondere auch junge Menschen wie Studenten leisten können. Außerdem sind wir die Einzigen, die sich mit den Reichen anlegen, denn die Politik hat die Vermögenden in den letzten Jahren immer reicher gemacht. Auf der anderen Seite wurden die Bereiche Bildung, Gesundheit und soziale Sicherungssysteme kaputtgespart. Deshalb fordern wir eine Vermögenssteuer für Milliardäre und eine Entlastung für kleine und mittlere Einkommen.
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Sie stehen für Chancengleichheit für arbeitslose Menschen, eine Abschaffung der Sanktionen und die Erhöhung des Bürgergeldes. Friedrich Merz will genau das Gegenteil, aktuell sieht alles danach aus, als ob er der nächste Bundeskanzler wird. Was glauben Sie, bedeutet das für die Menschen, mit denen Sie ja auch täglich zu tun haben?
Jeder Mensch kann in eine Lage geraten, in der er oder sie Hilfe braucht. Ich finde es unfassbar menschenverachtend, dass Herr Merz oder auch Herr Lindner diesen Menschen damit Faulheit vorwerfen. In Wahrheit arbeiten aber viele und müssen entweder aufstocken oder sich noch um andere Angehörige oder ihre eigene Gesundheit kümmern. Das Bild eines Bürgergeld-Empfängers ist so falsch dargestellt. Studien belegen auch, dass Sanktionen und der Druck nicht zu mehr Arbeitsaufnahmen führen. Wer dagegen ankämpfen will, muss faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen schaffen, was den ganzen Arbeitsmarkt auch nachhaltig stärken würde.
Das Bürgergeld ist ein soziales Netz, das es den Menschen ermöglichen soll, wieder auf die Beine zu kommen und sie nicht noch tiefer in die Armut treibt.
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„Niemand braucht 14.000 Euro im Monat“
Sie wollen auf Gehalt verzichten, um näher dran zu sein an der Lebenswelt der Menschen. Warum?
Ich finde es total irre wie viel Politiker und Politikerinnen bekommen. Ich bin der Überzeugung, dass abgehobene Gehälter zu abgehobener Politik führen. Deshalb glaube ich, dass niemand 14.000 Euro im Monat braucht, sondern das auch abgeben kann. Ich finde, wenn wir als Linke eine Vermögenssteuer fordern, dann müssen wir auch als Beispiel vorangehen. Stattdessen wollen wir das Geld lieber für soziale Projekte nutzen.
Apropos Vorbildfunktion. Sie selbst waren einst Mitglied bei den Grünen, die Partei, die die Linke nun scharf kritisiert. Habeck oder auch Baerbock attackieren die Linke im Wahlkampf dafür, dass sie schöne Reden hält, aber nie Verantwortung übernehmen will. Machen es sich Menschen wie sie, in der linken Opposition zu leicht?
Ganz zu Beginn war nicht klar, dass wir in den Umfragen so gut abschneiden würden. Und wir sind ja nicht größenwahnsinnig, dass wir bei Prognosen von 4 Prozent einen Kanzlerkandidaten aufstellen, deswegen haben wir von einer Opposition gesprochen. Und für uns ist es so, dass wir nicht um jeden Preis regieren wollen und keine Kompromisse bei Menschenrechten oder der sozialen Gerechtigkeit machen. Das ist etwas, was die Grünen nicht ganz verstehen und der Grund für meinen Austritt war auch, dass sie ihre Werte verloren haben. Beispielsweise bei der Asylreform oder auch bei Lützerath. Wir konzentrieren uns gerade auf uns, und das würde ich einer demokratischen Partei auch empfehlen. Vor allem in Zeiten des Rechtsrucks nicht gegen Linke zu schießen.
Der „Rechtsruck“, wie Sie ihn nennen, ist auch im Ruhrgebiet spürbar. Auch hier steigt der Zulauf an AfD-Wählern. Wie wollen Sie es schaffen, dass Frustrierte eher die Linke wählen als die AfD?
Ich gehe gezielt in Gespräche mit potenziellen AfD-Wählern und ich glaube, das ist auch wichtig. Aber ich bin mittlerweile etwas skeptisch, denn am Anfang war es eine Trotzreaktion, aber inzwischen ist klar, dass man eine rechtsextreme Partei wählt und damit veranlasst, dass sich die Geschichte wiederholen kann. Aus einer Wut heraus, die AfD zu wählen, ist keine gute Entscheidung, weil am Ende wird diese Partei auch ihnen nicht helfen. Denn wenn man sich ihr Wahlprogramm anschaut, dann schüren sie einfach nur Fremdenhass und helfen nur den Reichen. Ich glaube, die wichtigste Herausforderung ist das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Und wir wollen nicht von oben herab Politik machen, sondern mit den Menschen zusammen.