Wie Christina Obergföll Sport-Karriere und Familie vereint
Die 34-Jährige Speerwerferin will den Spagat zwischen Muttersein und Spitzensport meistern, um nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio aufzuhören.
Peking.
Vor sieben Jahren gewann Speerwerferin Christina Obergföll bei den Olympischen Spielen in Peking Bronze. Es war die einzige Medaille der deutschen Leichtathleten. Sieben Jahre später lässt sie im Pekinger Vogelnest (Freitag Qualifikation, Sonntag Finale) wieder ihren Speer fliegen. Vieles hat sich für die 34-Jährige verändert. Nach der Geburt ihres Sohnes Marlon vor einem Jahr startete sie ein Comeback. In unserem Interview spricht sie über ihr Familienleben, wie sie die Rollen der Spitzensportlerin und Mutter meistert und wie schwer es ist, mit der neuen Sichtweise auf das Leben noch genügend Aggressivität für den Wettkampf aufzubauen.
Frau Obergföll, Sie sind Mutter und gleichzeitig bei der WM Titelverteidigerin im Speerwerfen. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Familie und Leistungssport?
Christina Obergföll: Das bedarf einiger Organisation. Da mein Mann auch mein Trainer ist, wird es etwas leichter. Boris unterstützt mich. Er wechselt die Windeln, er füttert Marlon. Wir planen immer eine ganze Woche voraus und legen unsere Trainingszeiten fest, so dass wir dann auch wissen, wann Marlon zur Tagesmutter gehen muss.
Was hat sich im Sport für Sie verändert?
Obergföll: Vieles ist wie früher, aber die Zeit zwischen den Trainingseinheiten hat sich geändert. Dann bin ich wirklich Mama, spiele mit Marlon und bin für ihn da. Ich kann dann nicht wie früher sagen, so, Christina, jetzt machst du mal ein Mittagsschläfchen. Es ist alles superschön, doch es fehlt mir ein wenig die Regeneration.
Und Regeneration ist für einen Leistungssportler fast so wichtig wie das Training selbst.
Obergföll: Definitiv ja. Ich bin jetzt seit acht Monaten wieder im Trainingsprozess. Das wichtigste Ergebnis unserer ersten Analyse ist, dass es einen gewissen Mangel an Regeneration gibt. Boris und ich denken, dass deswegen der Speer noch nicht ganz so weit fliegt wie früher. Wir haben uns aber entschieden, Marlon nur für das Training zur Tagesmutter zu geben, weil wir für ihn da sein und erleben wollen, wie er groß wird. Jetzt nehmen wir ihn auch manchmal mit zum Training, dann läuft er auf der Wiese oder spielt im Sand. Immer geht das nicht. Wenn ich ständig ein Auge aufs Kind habe, dann bin ich halt zu sehr abgelenkt.
Sie haben Boris geheiratet, wohnen mit ihm und Marlon in Ihrem Traumhaus. Sind Sie jetzt entspannter als früher?
Obergföll: Klar, wir sind glücklich und ich schaue auch entspannt auf den weiteren Fortgang meiner Karriere. Die Sichtweise auf das Leben hat sich verändert. Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, der Speerwurf ist mein Leben. Ich will Medaillen sammeln und Rekorde werfen. Jetzt sage ich, es ist wunderbar, dass es meinen Sohn gibt. Aber mein Alltag ist natürlich nicht entspannter, sondern im Gegenteil stressiger geworden.
Ist der Druck auch gesunken? Wenn Sie in Peking nicht ganz vorne landen, geht für Sie bestimmt die Welt nicht unter.
Obergföll: Natürlich nicht. Doch diese Sichtweise hat auch einen Nachteil. Die Lockerheit kann einem auch die letzten drei Prozent an Aggressivität nehmen, die man für den Sieg braucht. Manchmal muss man sagen, so, die haue ich jetzt alle weg und nicht, halb so schlimm, meine Gegnerin ist auch Mama. Wir versuchen, auch diesen Spagat hinzubekommen, denn ich gebe mein Kind nicht weg und schufte den ganzen Tag im Training, um dann zu sagen, ein achter Platz ist auch nicht schlecht.
Sie erwähnten Ihre Konkurrentinnen. Olympiasiegerin Barbora Spotakova hat auch ein Kind, Ex-Weltmeisterin Maria Abakumowa sogar Zwillinge. Unterhält man sich jetzt mehr über die Kinder als über den Sport?
Obergföll: Wir sprechen schon über andere Themen. Wir tauschen Bilder unserer Kinder aus oder schauen zusammen Videos auf dem Smartphone.
Vor zwei Jahren gab es bei der WM in Moskau eine Wette. Da Sie Weltmeisterin geworden sind, musste Boris Henry bei der Hochzeit Ihren Namen annehmen. Hat er sich daran gewöhnt?
Obergföll: Ja. Er sogar besser als ich. Wenn er sich jetzt als Boris Obergföll vorstellt, stutze ich immer noch manchmal.
Welche Wette wird es zwischen Ihnen bei der WM in Peking geben?
Obergföll: Bis jetzt noch keine. Aber vielleicht fällt uns noch etwas Originelles ein.
Wo wird Marlon sein, wenn seine Mutter den Speer in China fliegen lässt?
Obergföll: Bei Oma und Opa in Deutschland. Wir werden skypen, sonst kriege ich das emotional nicht hin. Er kennt unsere Stimmen. Und nach dem Wettkampf geht es sofort nach Hause. Ich sehne den Tag schon herbei.
Wozu fühlen Sie sich bei der WM schon fähig?
Obergföll: Ich habe gut trainiert und mein Bauchgefühl ist super. Wir sind zehn Damen, die ins gleiche Loch werfen können. Da kann alles passieren. Ich bin konkurrenzfähig. Wenn ich einen Wurf richtig treffe, kann ich ganz vorne sein. Wenn nicht, werde ich vielleicht nur Siebte. Unser Ziel sind die Olympischen Spiele in Rio.
Nach Bronze 2008 und Silber 2012 gibt es dann…
Obergföll: Ja, ja. Ich kenne den Spruch. Wenn es so einfach wäre. Aber klar, es ist ein schönes Ziel.
Hören Sie nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio auf?
Obergföll: Ja.
Und wird die Familie Obergföll dann noch einmal aufgestockt?
Obergföll: Jetzt wollen wir erst einmal die eineinhalb Jahre Sport gut gestalten, und dann ist es eventuell Zeit, dass Marlon ein Geschwisterchen bekommt.