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Weltmeister Jürgen Kohler trainiert Jugendliche

Weltmeister Jürgen Kohler trainiert Jugendliche

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Der Weltmeister von 1990, vor zehn Jahren noch von den Fans der Dortmunder Borussia verehrt, bildet die A-Junioren des Bonner SC aus. Die spielen in der Bundesliga und hoffen auch durch ihn auf den großen Sprung.

Bonn. 

„Du siehst ein bisschen kaputt aus“, ruft der Trainer dem Spieler beim Athletiktraining zu. Der Spieler erweist sich als schlagfertig: „Trainer, wenn man’s vernünftig macht, dann muss man kaputt sein!“ Geist ist geil, Jürgen Kohler gefällt die Antwort, er grinst.

Es ist nasskalt an diesem Abend im Bonner Sportpark Nord, das Flutlicht funzelt den kleinen holprigen Nebenplatz des Stadions, den sie verdientermaßen Wiese nennen, nur notdürftig aus. Aber der Stadionrasen muss geschont werden, und deshalb wird Jürgen Kohler bei den Alltagsübungen mit den A-Junioren des Bonner SC zur Improvisation gezwungen: „Ich wollte eigentlich taktisch arbeiten“, erklärt er seinen Jungs, „aber jetzt schulen wir eben auf engem Raum das Zweikampfverhalten. Ich will, dass ihr euch stehend behauptet, dass ihr die Bälle ablauft. Die Grätsche ist das letzte Mittel.“

Jürgen Kohler und die Grätsche – da war doch mal was? Einmal in seiner berauschend erfolgreichen Fußballer-Karriere ist er die entscheidende Zehntelsekunde zu spät herangerutscht, 1988 war das, im Halbfinale der Europameisterschaft gegen die Niederlande in Hamburg, Marco van Basten schoss damals das Siegtor. Den deutschen Vorstopper animierte dies zu noch mehr Ehrgeiz, zu noch mehr Arbeit. Zwei Jahre später war Jürgen Kohler Weltmeister.

Champions-League-Sieger wurde er auch noch, 1997 mit Borussia Dortmund, und als er 2002 beim BVB seine Karriere beendete, ging er passend: als Deutscher Meister. Wer ihn früher finden wollte, musste nur dem Applaus folgen.

Erste Mannschaft des Bonner SC in der Landesliga

Was aber sucht ein Fußballgott in Bonn? Auf den ersten flüchtigen Blick passt Jürgen Kohler in diese kleine Fußballwelt wie Champagner auf den Tresen einer Eck-Kneipe. Der Bonner SC, in den 70er-Jahren Zweitligist, hat die besseren Zeiten hinter sich. Vor zwei Jahren meldete der Klub als Regionalligist Insolvenz an, die erste Mannschaft stellt sich gerade in der Landesliga neu auf. Aber die A-Junioren, das Vorzeigeteam, konnten in der Bundesliga gehalten werden. Die Gegner heißen Schalke, Köln, Mönchengladbach, Leverkusen, Dortmund – für den tapferen Außenseiter Bonn kann es da natürlich nur um den Klassenerhalt gehen.

„Ich trainiere hier Spieler, die mit Herz und Leidenschaft bei der Sache sind“, erzählt Jürgen Kohler begeistert. „Die verdienen hier nichts, die müssen sich den Trikotsatz sogar mit der ersten Mannschaft teilen. Manche reisen 80 Kilometer mit Bus und Bahn zum Training an, das ist bewundernswert.“ Es reizt die Talente, sich auf der Casting-Showbühne des Fußballs empfehlen zu können, und es reizt ihren Trainer, sie zu formen.

Deshalb hat der 46-Jährige auch ohne Aussicht auf üppiges Honorar zugesagt, als Anfang des Jahres Erich Rutemöller, früher Chef-Trainerausbilder beim DFB und heute Bonner Aufsichtsratsmitglied, anfragte. Außerdem wohnt Jürgen Kohler in der Nähe, in Vettelhoven. „Es passte also.“

Kohler fühlt sich als „Papa“ für die Jugendlichen

Natürlich gibt es den Jugendlichen einen Motivationsschub, dass sie nun von einem Weltmeister gefördert werden. „Als wir das gehört haben, konnte ich vor lauter Aufregung nicht mehr schlafen“, erzählt Torwart Alexander Monath. Aber auch Sportdirektor Bernd Gabriel platzt vor Stolz: „Der Mann, der als Lehrgangsbester vor Klinsmann und Löw den Trainerschein gemacht hat, in unserem Verein – wenn das nicht zieht. . .“

Jürgen Kohler, geerdet statt abgehoben, spielt seine Rolle als Idol herunter. 105 Länderspiele? Egal, die Spieler dürfen ihn sogar duzen, er sagt, er brauche keine Distanz: „Irgendwie bin ich doch deren Papa.“ Außerdem gehe es gar nicht um ihn. „Es geht darum, dass die Jungs sich entwickeln, sportlich und menschlich. Man darf jetzt nicht erwarten, dass der gesamte Verein durch die Decke schießt.“ Klar, wenn Geld ins Spiel kommt, sind die Jugendlichen weg. Aber vielleicht kann der BSC eines Tages Ausbildungsentschädigungen kassieren, falls einige tatsächlich Profis werden.

Und der Trainer? Ist Bonn auch für ihn ein neues Sprungbrett? Jürgen Kohler war U-21-Nationaltrainer, Sportdirektor in Leverkusen, Trainer in Duisburg, Trainer und Sportdirektor in Aalen. Als kurzzeitig die Gesundheit streikte, schaltete er einen Gang zurück. Warum er seitdem nicht mehr groß gefragt ist? „Vielleicht, weil ich nie ein Ja-Sager war“, glaubt er. „Ich zähle aber nicht meine Feinde, sondern nur meine Freunde.“ Für höhere Aufgaben stünde er bereit, doch er drängelt nicht: „Ich sehe das ganz locker, ich war lange genug Profi. Wenn es kommt, dann kommt es.“