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Warum der Top-Verein TV Wattenscheid um seine Stars bangt

Warum der Top-Verein TV Wattenscheid um seine Stars bangt

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Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services
Den Top-Verein der deutschen Leichtathletik belasten Geldsorgen. Weil Sponsoren fehlen, könnten die besten Athleten für den TV Wattenscheid unbezahlbar werden.

Wattenscheid. 

Es ist einer dieser Momente für die Ewigkeit: 6,52 Sekunden steht auf der Anzeigetafel geschrieben. Mit diesem deutschen Rekord über 60 Meter überstrahlt Sprinter Julian Reus im Februar die Deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig. Ein Wattenscheider Leichtathlet. Wieder einmal. Seit Jahrzehnten gilt der TV Wattenscheid als Vorzeigeverein. Am Olympiastützpunkt in Bochums Westen werden Sportler zu Meistern veredelt. Trotzdem glänzt längst nicht alles golden, silbern oder bronzen.

Wenn Manager Michael Huke die Geschäftszahlen durchgeht, wird der sonst so positiv gestimmte Mensch im bedeutenden Olympiajahr umgehend ernst: „Uns droht, dass wir uns von Leistungsträgern trennen müssen.“ Denn: Der wichtigste Sponsor plant, seine Unterstützung kräftig zu reduzieren. Die Suche nach neuen Geldgebern stellt sich ähnlich kompliziert dar wie die Vorhersage der nächsten Lottozahlen. Weil die Spitzensportler in diesem Verein weder vor einen Ball treten noch Tore schießen. „Es gehört zu den Grundproblemen der Leichtathletik: Sie hat es schwer, sich neben dem Fußball zu behaupten“, sagt Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), im Gespräch mit dieser Zeitung.

Im Fußball wäre der TV Wattenscheid fast vergleichbar mit Bayern München. Seit Jahren vorne, Titel über Titel. In den vergangenen 30 Jahren gewann der Verein allein bei Welt- und Europameisterschaften sowie bei Olympischen Spielen 50 Medaillen. 300 Titel bei Deutschen Meisterschaften gehen an die Top-Adresse Hollandstraße. Man muss kein Insider sein, um die großen Namen wertschätzen zu können: Willi Wülbeck, WM-Gold über 800 Meter 1983. Sabine Braun, WM-Gold im Siebenkampf 1991 und 1997. Jan Fitschen, EM-Gold über 10 000 Meter 2006. Julian Reus, Deutscher Rekord über 100 (2015) und 60 Meter (2016).

Der Jahresetat von 1,2 Millionen Euro schmilzt

Zurzeit verfügt der Verein über einen Jahresetat von 1,2 Millionen Euro. „Noch“, sagt Manager Michael Huke. Geld, das Sponsoren, Land und Bund einzahlen. Eine Mischkalkulation. Doch der größte Unterstützer, die Stadtwerke Bochum, will kürzertreten. In Fachkreisen wird spekuliert, dass bis zu einem Drittel des Stadtwerke-Geldes wegfallen könnte. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Aber eine grundsätzliche Ansage der Vereinsführung, was nun drohen könnte: „Wir betreiben mit einem Olympia-Anspruch Hochleistungssport. Davon entfernen wir uns“, sagt Huke. Trainingslager? Ein teures Extra. Physiotherapie? Ebenfalls. In beiden Fällen muss jeder Cent umgedreht werden. In nächster Konsequenz werde überlegt, ob alle Trainer noch gehalten werden können – und ob der Kader von 20 auf zunächst 15 Spitzen-Athleten und später weiter reduziert werden muss. „Einige vielversprechende Talente mussten wir bereits ablehnen, weil wir sie nicht finanzieren könnten“, sagt Tono Kirschbaum, seit Jahren Cheftrainer. Er rechnet vor: „1500 Euro benötigt ein Hochleistungssportler mit Olympia-Anspruch im Monat zum Leben und um Wohnung und Essen bezahlen zu können.“ Für Fußballstars vielleicht ein Stundenlohn, für Leichtathleten die Existenz.

Auch andere Vereine klagen

Solche Geldsorgen sind nicht allein ein Wattenscheider Phänomen. „Einige Vereine haben diese Probleme. Vieles hängt von der Bereitschaft regionaler Sponsoren ab“, sagt DLV-Chef Clemens Prokop. Der VfL Wolfsburg, Jahrzehnte eine Macht, ist aus der Leichtathletik fast komplett verschwunden. „Sogar Bayer Leverkusen teilt unsere Sorgen. Trotz des bekannten Hauptsponsors“, sagt der Wattenscheider Manager Michael Huke. Er klagt über fehlende Fernsehzeiten und zu wenig Wettkämpfe mit Außenwirkung: „Fußballer tragen regelmäßig Heimspiele aus. Sie können ganz anders präsent sein.“ Aber Huke sucht weiter. Nach einer Lösung und nach Sponsoren.