Sebastian Kienle startet am Samstag beim berüchtigten Ironman auf Hawaii, den er im Vorjahr gewinnen konnte – und das ohne viel Medienrummel.
Hawaii.
Eine Insel. Ein Ironman. Hawaii. Um keinen Triathlon ranken sich so viele Mythen wie die 3,8 Kilometer Schwimmen im aufgewühlten, unberechenbaren Pazifik, 180 Kilometer Radfahren durch die glühenden, windanfälligen Lavafelder und 42 Kilometer Laufen auf einer welligen, flirrenden Asphaltstrecke. Sebastian Kienle aus dem badischen Mühlacker gelang im Vorjahr als viertem Deutschen der große Coup. Der 31-Jährige will am Samstag (18.25 Uhr MESZ/live ab 23.45 hr-Fernsehen) die WM-Krone verteidigen.
Sein härtester Herausforderer unter den fast 2400 Startern dürfte der drei Jahre ältere Jan Frodeno sein. Der Triathlon-Olympiasieger von 2008 gewann in diesem Jahr bereits den Ironman Frankfurt und die Ironman-70.3-WM in Zell am See über die Halbdistanz.
Der Ironman Hawaii gilt als eine der härtesten Herausforderungen im Ausdauersport. Wie oft fragen Sie sich während solch eines Wettkampfs: Warum tue ich mir das eigentlich an?
Sebastian Kienle: Wenn es gut läuft, habe ich das Gefühl gar nicht. Oder ich habe nach dem Rennen vergessen, dass ich das verdrängt habe (lacht). Vor zwei Jahren war ich mehrmals davor, auszusteigen. Feierabend. Aber auf einmal war die Fernsehkamera da: Vor den Augen meiner Familie daheim wollte ich nicht aufhören. Ich glaube, ich habe in 15 Jahren als Triathlet nur zweimal wegen eines Defekts aufgegeben, aber nie, weil es mental nicht mehr ging.
Wie wichtig wird die mentale Komponente beim Rennen am Wochenende?
Kienle: Sie kann extrem wichtig werden. Man hat bei der Europameisterschaft im Juli in Frankfurt gesehen, was das ausmacht: Da hat mich Jan Frodeno auch mental gebrochen, weil er mich in meiner besten Disziplin, dem Radfahren, geschlagen hat.
Spüren Sie als amtierender Weltmeister bei sich selbst eine andere Erwartungshaltung?
Kienle: Durch Jan Frodeno ist mein Sieg alles andere als selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Durch seine Anwesenheit wäre der Sieg aus meiner Sicht fast schon wahnsinnig. Ich wäre definitiv nicht unglücklich, würde ich irgendwo auf dem Podium landen.
Ist Jan Frodeno also der Favorit?
Kienle: Es hat sich in diesem Jahr kein anderer so massiv hervorgetan – speziell mit seinen Siegen beim Ironman Frankfurt und Ironman 70.3 in Zell am See hat er Akzente gesetzt. Er muss damit leben, dass ich in dieser Hinsicht den Rucksack an meinen Landsmann abgebe.
Was erklärt seine Dominanz?
Kienle: Er hat eine extrem lange Basisarbeit auf der Kurzdistanz geleistet – die Tempohärte kommt ihm jetzt zugute. Beispiele gibt es in der Leichtathletik zuhauf: Paul Tergat und Haile Gebrselassie haben nur durch den Umstieg auf den Marathon die Karriere verlängern können. Es ist im zunehmenden Alter einfacher, an Kraftausdauer zu arbeiten als am Speed.
Augenfällig ist Ihr gutes Verhältnis. Wie kann man in einer so mit Egomanen gefluteten Sportart noch Freundschaft pflegen?
Kienle: Die wirkliche Belastungsprobe wird dieses Rennen (lacht). Der Begriff Freundschaft beinhaltet Respekt. Mir fällt das gegenüber Jan nicht schwer, weil ich ihn kenne, seit er von Südafrika nach Deutschland kam. Ich weiß, wie wahnsinnig ehrgeizig er ist: Sportartenübergreifend stellt er einen der härtesten Arbeiter dar. Zwischen uns gilt weiterhin die Vereinbarung, dass der Gewinner den Verlierer mitsamt Entourage zum Essen einlädt.
Sie sagten mal, Hawaii-Sieger sei wie Fußball-Weltmeister. Ist das wirklich so?
Kienle: Wer den Ironman gewinnt, wird weder Multi-Millionär noch Medienstar. Wenn ein junger Spieler in einem WM-Finale eingewechselt wird und schießt das entscheidende Tor, dann verändert sich sicher sehr viel mehr.
Mit Mario Götze möchte Sebastian Kienle also nicht tauschen?
Kienle: Bestimmt nicht. Mein C-Promi-Status langt mir, um zu wissen, dass ich nicht mehr davon brauche. Wer denkt, der Fußballstar hätte das absolute Traumleben, sollte mal darüber nachdenken, dass jeder Schritt überwacht wird. Da kann man sogar Mitleid haben. Und wenn man mir in so jungen Jahren ein Konto mit zehn Millionen Euro, eine Villa und ein Luxusleben gegeben hätte, weiß ich nicht, ob das gut gegangen wäre. Lamborghini fahren ohne Führerschein wäre das Mindeste meiner Vergehen gewesen.
Dafür kann ein Triathlet mit seinen Einkünften aber nicht seinen Lebensunterhalt bis 65 bestreiten?
Kienle: Das wird schwierig. Aber es geht doch bei Sportlern ohnehin meist in die Hose, wenn sie die Karriere beenden und glauben, sie hätten schon ausgesorgt. Ich weiß über meine Studienarbeit, dass 30 Prozent aller Profifußballer später Privatinsolvenz anmelden. Diese Zahl ist doch krass.