Gina Lückenkemper ist der neue Stern am deutschen Leichtathletik-Himmel. Die 19-Jährige sprintet in Europas Spitze und ist bei der DM Favoritin.
Dortmund.
Eine Sprinter-Weisheit lautet: Je höher die Temperatur, desto flinker fliegen die Beine über die Tartanbahn. In Luzern war es am Dienstagabend bitterkalt – und dann blies den 200-Meter-Läuferinnen auch noch eine steife Brise von 1,4 Metern pro Sekunde ins Gesicht. Zwei Gründe für schlechte Laune. Nicht so für Gina Lückenkemper. Sie strahlte vor dem 200-Meter-Start, gewann gegen starke Konkurrenz in 22,91 Sekunden und lachte dann über das ganze Gesicht. „Auch wenn einige sagen, dass es hier zu kalt zum Sprinten war – ich fand das Rennen heiß“, postete sie auf Facebook.
Es war der erste Sieg auf der großen internationalen Bühne für Gina Lückenkemper, aber bestimmt nicht der letzte. Die 19-Jährige, die in Soest wohnt und für die LG Dortmund startet, ist das größte deutsche Sprinttalent seit Jahrzehnten, sie ist der neue Stern am deutschen Leichtathletik-Himmel und trägt gleich bei ihrer Premiere bei den nationalen Titelkämpfen am Wochenende in Kassel auf den Sprintstrecken die Favoritenbürde.
Kaum hatte sie im Mai ihr Abitur in der Tasche, legte sie ihre Reifeprüfung auf der Bahn ab. 11,13 Sekunden über 100 Meter, 22,67 Sekunden über 200 Meter bedeuten: die Plätze fünf und drei in der europäischen Bestenliste 2016.
Lückenkemper hat ein einnehmendes Charisma
Aber Gina Lückenkemper ist nicht nur sportlich eine große Hoffnung. Die Soesterin beeindruckt auch abseits der Bahn. Beim Frage-Antwort-Spiel mit den Reportern sprudeln die Worte aus ihr heraus. Aber nie angeberisch, sondern witzig und erfrischend natürlich. Sie strahlt von Kopf bis Fuß die ungeschminkte Ehrlichkeit der Jugend aus. Wenn ihre Leistungskurve so weiter verläuft, bringt sie dank des für ihr Alter schon einnehmenden Charismas alles mit, um sich selbst und ihre Sportart zu bereichern.
So sieht es auch Heide Ecker-Rosendahl. Als Gina Lückenkemper nach dem 200-Meter-Sieg bei der U20-EM mit dem Felix-Award als Newcomerin 2015 in NRW geehrt wurde, sagte die Doppel-Olympiasiegerin: „Es wäre wunderbar, wenn Gina an meine Erfolge von München 1972 anknüpfen könnte. Die Leichtathletik in Deutschland braucht gerade in der heutigen Zeit dringend solche tollen und unbekümmerten Sportler als Vorbilder.“
Eine Managerin hat Gina Lückenkemper bisher nur, um wie in Luzern bei großen Wettkämpfen einen Startplatz zu bekommen. Um die Geschäfte kümmert sich bisher der Papa. Eine Doppelfunktion hat auch ihr Freund. Florian Drossart ist Lebens- und Trainingspartner. „Über 200 Meter war ich schon schneller als er. Damit muss er leben. Über 100 ist er besser“, sagt Gina und fügt dann mit einem Schmunzeln hinzu: „Noch!“
„Gerannt wie die Teufel“
Vor einem Jahr fuhr Gina Lückenkemper bereits zur WM nach Peking. Zum Lernen. Obwohl der fünfte Platz mit der deutschen Sprintstaffel auch schon ein schöner Erfolg war. In diesem Jahr lief das deutsche Quartett mit Gina bereits 42,00 Sekunden. Weltjahresbestzeit, seit der Wende war keine deutsche Staffel so schnell.
„Wir haben ein krasses Hoch erlebt und sind gerannt wie die Teufel. Bei uns geht es steil durch die Decke“, sagt Gina. Schon bei der EM vom 6. bis 10. Juli kann das Quartett in Amsterdam zum Gold stürmen. Und selbst bei Olympia in Rio de Janeiro ist eine Medaille keine Illusion. Der Olympiastart war vor einem Jahr für Gina Lückenkemper nur ein Riesentraum. Die Soesterin geht mit großen Schritten ihren Weg. Ihre Natürlichkeit will sie sich unterwegs bewahren. Worauf sie besonders stolz ist bei ihrem Sturm in Europas Spitze? „Darauf, dass mein Kopf immer mitgemacht hat“, antwortet sie. „Es waren doch sehr viele, sehr intensive Eindrücke.“