Ungleicher Doping-Kampf zwischen Ullrich und Armstrong
Ein verbitterter Ullrich-Mentor Rudy Pevenage, ein desillusionierter Toursieger Bradley Wiggins und ein UCI-Ehrenpräsident Hein Verbruggen, der mal wieder jede Schuld von sich weist: Der Fall Lance Armstrong hat nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada hohe Wellen geschlagen und dürfte die leidgeprüfte Sportart wohl noch für lange Zeit beschäftigen.
Düsseldorf.
Eine Verurteilung Lance Armstrongs dürfte nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada außer Zweifel stehen, was den Radsport in ein großes Dilemma treiben würde. Sieben Toursiege müssten neu vergeben werden: Der Ruf der damals Zweitplatzierten, allen voran der von Deutschlands einstigem Rad-Helden Jan Ullrich, ist kaum besser. Und aus Italien könnten in naher Zukunft weitere Doping-Enthüllungen den Radsport erschüttern, sollen doch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Padua gegen Dopingarzt Michele Ferrari kurz vor dem Abschluss stehen.
Der frühere Telekom-Sportdirektor Pevenage, der einst als Drahtzieher der Doping-Aktivitäten von Jan Ullrich im Skandal um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes galt, glaubt gar, dass sein Schützling Ullrich einen ungleichen Kampf gegen Lance Armstrong geführt habe. „Ich glaube, man kann jetzt sagen, dass ich nur ein kleiner Dieb im Vergleich zu den Gangstern um Armstrong war. Als ich am Mittwoch vom USADA-Bericht hörte, habe ich ihn vier Stunden lang gelesen. Ich war erschrocken, wie weit US Postal gegangen ist“, sagte Pevenage dem belgischen TV-Sender „VRT“.
Verbindung zwischen Ullrich und Fuentes wurde 2006 bekannt
Kurz vor der Tour 2006 war die Verbindung von Pevenage und Ullrich zu Fuentes bekannt geworden. Beide wurden vom T-Mobile-Team suspendiert. 2007 hatte Ullrich, der erst Anfang dieses Jahres für seine Verstrickung in der Operacion Puerto gesperrt wurde, seine Karriere beendet. Auch Pevenage fand keine Anstellung mehr im Radsport.
Was passiert mit den Armstrong-Siegen?
Ullrich (links im Bild) hatte unter Pevenage (rechts) dreimal hinter Armstrong den zweiten Platz belegt. Womöglich werden dem Toursieger von 1997 die Siege nachträglich zugesprochen. Denkbar ist aber auch, dass die Armstrong-Titel nicht neu vergeben werden. Wie auch immer entschieden wird, für den aktuellen Toursieger Bradley Wiggens ist es „eine Schande, dass das Rennen, das ich gewonnen habe, dieses historische Rennen, wahrscheinlich sieben Jahre ohne Sieger sein wird“. Was geschehe nun mit all den Geschichtsbüchern?“, fragte Wiggins im Interview des britischen TV-Senders Sky.
Fragen, die sich Hein Verbruggen nicht mehr stellt. Der Niederländer, der in der Armstrong-Ära Präsident der UCI war, wäscht seine Hände in Unschuld. „Die UCI konnte nichts machen und hat auch nichts verheimlicht“, sagte der Niederländer dem französischen Radiosender „RMC Sport“. Verbruggen galt als enger Freund des siebenmaligen Toursiegers. Im Abschlussbericht der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA geht es auch um eine mögliche vertuschte Dopingprobe Armstrongs bei der Tour de Suisse 2001. Die UCI hatte in der Vergangenheit bereits eingeräumt, Geldspenden von Armstrong in Höhe von 125.000 Dollar erhalten zu haben.
Pevenage: „Armstrong war kein guter Rundfahrer“
All das steht auch im USADA-Abschlussbericht, der laut Pevenage nun die Ergebnisse von Armstrong erkläre. „Bevor er krank wurde, war Armstrong ein guter Fahrer, der am Tag nach einer Bergetappe noch die Reserven hatte zu gewinnen. Aber ein guter Rundfahrer war er nicht. Es war schwer zu verstehen, dass er nach dieser Krankheit sieben Mal die Tour gewinnen konnte. Alles hat sich mit Johan Bruyneel geändert.“
Gemeint ist der langjährige Chef des US-Postal-Teams. „Das Schicksal von Bruyneel liegt in den Händen der UCI. Ich frage mich, wie lange er noch leugnen kann“, sagte Pevenage, der mit Verbitterung an die Zeit zurückdenkt: „Wenn man sieht, dass die anderen weitergemacht haben, fragt man sich, warum man zu Hause auf der Couch sitzt.“
Armstrong wohl immer einen Schritt voraus
Armstrong war womöglich den anderen immer einen Schritt voraus, wie David Howman, der Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) mutmaßt. Armstrong habe sein Doping-Programm möglicherweise mit dem Wissen von Kontrolleuren durchgezogen, sagte Howman dem „New Zealand’s LiveSport Radio“ am Freitag. „Es sieht so aus, als wäre das Szenario jahrelang vor den Augen derer gelaufen, die es hätten aufdecken sollen, manchmal sogar mit deren Wissen.“
Es könnte für den Radsport noch schlimmer kommen. In Italien stehen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Padua gegen Ferrari, der bereits im Fall Lance Armstrong eine Schlüsselrolle eingenommen hatte, nach Informationen der Nachrichtenagentur AP kurz vor dem Abschluss. Demnach sollen bis zu 70 Person, darunter 20 Sportler, betroffen sein. Ferrari war im Oktober 2004 im Zuge eines Doping-Prozesses wegen Sportbetruges zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Armstrong hatte daraufhin die Zusammenarbeit mit Ferrari beendet. (dapd)