Curling gilt als typische Sofasportart. Jeder hat sie im Fernsehen schon gesehen, selbst auf das Eis wagen sich aber nur die wenigsten. Im Praxistest zeigt sich aber: Der Sport ist zwar ausgesprochen unterhaltsam, aber auch deutlich komplexer als erwartet.
Unna.
Die ersten Schritte auf glattem Grund enden nicht dort, wo die Vorstellung im Vorhinein hinglitt: Auf dem Hosenboden. Die ersten Schritte in kalter Luft, hier auf der kleinen Eisbahn in der Eishalle Unna, gehen einher mit Unbedarftheit und einer gewissen Zuversicht: So schwer kann Curling nicht sein! Steine über Eis zu schieben ist für uns alle, die mindestens jenseits der 30 sind, die einzig realistische Option, jemals an Olympia teilzunehmen. Zumal, als wir die freundliche Einladung auf der Internetseite des Curling-Clubs Unna lesen: „Das Alter und eine Behinderung spielen bei unserer Sportart keine Rolle, von 12 bis 88.“
Aber da wissen wir noch nicht, dass ein Curling-Stein fast 20 Kilogramm wiegt. Dass es Exemplare gibt, die bis 20 000 Euro kosten. Entspannt schlendern wir mit unseren Turnschuhen heran, nicht wissend, dass Curling-Schuhe auch mal 300 Euro kosten können.
Aber Versuch macht klug. Oder, Herr Kollege?
„Den Stein in die rechte Hand, den Besen unter den linken Arm einklemmen. Hinhocken. Beide Arme und das linke Bein parallel nach vorne ziehen. Den Hintern hoch. Dann alles nach hinten ziehen und kräftig abstoßen.“ Die Anweisungen von Trainer Udo Fischer sind eigentlich klar und präzise, dennoch lassen sie mich ziemlich ratlos zurück. Häh? Es kann doch nicht sein, dass mich diese erste leichte Übung schon aus dem Konzept bringt! Noch deprimierender macht die Sache, dass der ältere Herr auf der Nebenbahn sich im gleichen Moment schwungvoll abstößt, elegant über das Eis gleitet und den Stein präzise in Richtung seines 40 Meter entfernten Ziels schiebt, während meiner kläglich über die Eisbahn trudelt und schon nach wenigen Metern müde liegenbleibt. Erbärmlich.
Beine und Arme sortieren
Trainer Fischer, seit 35 Jahren auf der Curlingbahn aktiv, hat meinen neidischen Blick natürlich erkannt. „Am Ende der Trainingsstunde klappt das bei Ihnen auch.“ Na gut. Aber erstmal Beine und Arme sortieren. Und dann auf ein Neues.
„Kläglich“ umschreibt die ersten Versuche unzulänglich. Bis der Fuß auf dem Hack, einer Rampe, die einem Startblock nachempfunden ist (wir sind Rechtshänder, sonst müsste der linke Fuß dort platziert werden), richtig steht, die Hockposition eingenommen ist, vergeht geraume Zeit. „Das alles ist eine koordinative Angelegenheit“, sagt Udo Fischer. Immer wieder korrigiert er die Haltung, immer wieder spricht er Mut zu, lobt, wenn es wahrlich nichts zu beschönigen gibt. „Das wird“, kommentiert er die Versuche. „Gleich ist der Stein hinten.“
Steine kosten bis zu 20 000 Euro
Der Stein. Was sich so gewöhnlich anhört ist in Wahrheit ein Unikat aus Granit. Gefertigt in Schottland, geschliffen in der Schweiz, verwahrt in einer eigenen Kühltruhe. In der Tat: „Wenn die Steine Lufttemperatur hätten, würde das Eis schmelzen.“ Also werden sie auf minus 5 Grad gehalten, damit sie den richtigen Dreh auf dem Eis haben.
Tatsächlich habe auch ich langsam den Dreh raus. Entscheidend ist der Abstoß. Der gesamte Schwung kommt ausschließlich aus dem Oberschenkel. Der Stein muss nicht geschoben und nicht gestoßen werden. Nur losgelassen. Beim Gleiten über das Eis nimmt er genug Fahrt auf. Nach einer Weile klappt das ganz gut. Noch curlt – also dreht – der Stein sich zwar nicht richtig, geradeaus klappt aber schon ganz gut.
Auf die Scheine in der Tasche kommt es an
„Besser kann man es beim ersten Mal nicht machen“, lobt Fischer. Klar weiß ich, dass das nicht ganz ernst gemeint ist, trotzdem geben die Worte Auftrieb. Und lassen träumen. Also mal ganz im Ernst, Herr Fischer, wäre eine Teilnahme an Olympia 2018 in Pyeongchang noch möglich? Die Antwort überrascht. „Grundsätzlich ja, das Talent ist vorhanden. Sie müssen nur regelmäßig und hart trainieren …“ – daran sollte es nicht scheitern. „… und Sie müssen genug Scheine in der Tasche haben.“ – Das allerdings könnte zum Problem werden.
Das Lob des netten Trainers beflügelt den Kollegen. Jetzt will er es wissen. Während mein Schwung den schmerzenden Knien Tribut zollt, stellt Udo Fischer beim Anblick des Curling-Eleven fest: „Gleich hat er die Länge!“ Gemeint ist, nahezu das Ende Bahn, das Haus, zu erreichen. Und dann ist es passiert: Die Länge ist da – und wie. Donnernd kracht der Stein am anderen Ende der Bahn vor die Polsterung. Zu weit! Im Spiel wäre die Maus jetzt aus. So aber überwiegt der Stolz: Er hat es geschafft.
Der Skip muss ein Diktator sein
Schnell ist uns klar, auf was es hier ankommt. Auf Präzision. Und Gefühl. Und auf die Teamfähigkeit. Denn Curling ist ein Mannschaftssport. Es gilt, die Anweisungen des Skips zu befolgen. Der ist es schließlich, der anzeigt welcher Stein wann wohin gespielt wird. Gespielt werden muss. „Der Skip muss schon ein kleiner Diktator sein“, stellt Fischer klar und lacht. Klar. Er war schließlich der Skip in Unna als er selber noch aktiv auf dem Eis stand. Heute allerdings greift er nicht mehr ins Geschehen ein. So wie wir auch auf das für das Curling so charakteristische Wischen verzichten. „In hoher Geschwindigkeit über das Eis zu sliden ist für Anfänger viel zu gefährlich“, erklärt Fischer. „Da legen Sie sich sofort auf die Nase.“
Irgendwann aber schaffen wir das auch noch. Olympia in Pyongcheang ist ja erst in vier Jahren.
Und bis dahin habe auch ich den Stein in die Nähe des Hauses gebracht. Vielleicht aber auch nicht. Denn vom Sofa sieht Curling viel leichter aus als es in Wahrheit ist.