Isabell Werth ist die erfolgreichste deutsche Dressurreiterin. Ein Gespräch über das Karriere-Aus von Wunderhengst Totilas, Olympia und ihren Antrieb.
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Es ist eine ungewöhnliche Situation. Isabell Werth liegt zurück. Von der erfolgreichsten deutschen Dressurreiterin ist man anderes gewohnt. Doch diesmal geht es nicht um Prozentpunkte, sondern um Zeit. Später als geplant sitzt die 46-Jährige im Auto, auf dem Weg von ihrem Stall in Rheinberg Richtung Dortmund. Dort startet die Olympiasiegerin ab Freitag beim internationalen Reitturnier. Dank Freisprechanlage bleibt Zeit für ein Gespräch.
Frau Werth, mit wie vielen Pferdestärken sind Sie gerade unterwegs?
Isabell Werth: (lacht) Ich weiß es gar nicht. Ich fahre einen Geländewagen. Der hat genug PS, aber wie viele genau kann ich gar nicht genau sagen.
Tierische PS haben Sie nicht dabei?
Werth: Nein, Emilio ist schon früher mit meiner Pflegerin Steffi nach Dortmund gefahren. Normalerweise sollte auch Weihegold mit meiner Bereiterin an den Start gehen, aber die Stute hat einen Infekt und kann leider nicht starten.
In Dortmund findet zwar ein internationales, allerdings kein Weltcup-Turnier statt. Nutzen Sie diese Veranstaltungen, um andere Pferde außer ihren Stars Bella Rose und Don Johnson zu testen?
Werth: Nein, Dortmund ist kein Pflaster zum Üben. Und mit Emilio ist die Zeit des Herantastens vorbei: Wir wollen in Dortmund Spitzenleistung bringen.
Welche Rolle spielt Dortmund in Ihrem Turnierkalender?
Werth: Als ich Kind war, war es das Highlight der Hallensaison. Wir sind mit dem Bus als Verein dorthin gefahren. Es gab keine Konkurrenz zu dieser Veranstaltung. Das hat sich zwar geändert, aber Dortmund hat sich wieder etabliert und das freut mich. Es ist eine Eintrittskarte ins neue Jahr, die Pferde können Werbung für sich machen. Mit Kristina Bröring-Sprehe kehrt zudem die Nummer eins der Weltrangliste zurück – das wird der Maßstab sein.
Wie steht es denn um Ihre beiden Stars?
Werth: Don Johnson ist fit und kernig, er soll nächste Woche starten. Bella Rose soll zur grünen Saison, nach ihrer Verletzungspause, wieder an den Start gehen.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie es spannend fänden, ein Pferd zu kreieren, das Totilas schlagen kann. Die Karriere des Zehn-Millionen-Hengstes ist seit der EM 2015 beendet. Bleibt dennoch Ihr Wunsch, ein besseres Pferd auszubilden?
Werth: Mich reizt es immer, ein Pferd auszubilden, das alle Möglichkeiten hat, ein herausragendes Championatspferd zu sein. Bella Rose vereint diese Fähigkeiten. Sie ist einfach ein Traumpferd. Mir fällt es aber schwer, von „besser als“ zu reden. Mir werden Pferde angeboten, die besser als Totilas oder Gigolo seien. Ich scheue den Vergleich mit Totilas oder anderen Championatssiegern, jedes Pferd steht für sich selbst und hat seine eigene Aura. Eine Kopie ist immer schlechter als das Orginal.
Hat Sie der Hype um das Karriere-Aus des als Wunderhengst gefeierten Pferdes genervt?
Werth: Nein, das nicht. Im Vorfeld der EM in Aachen wurde aus dem Comeback bewusst eine PR-Aktion gemacht. Der Dressursport hat dadurch viel Aufmerksamkeit bekommen, was einerseits gut ist. Leider hat sich Totilas verletzt, so dass andererseits sehr viel negative Kritik folgte. Das tat mir leid, er ist ein Ausnahmepferd und hätte einen schönen, würdigen Abschluss seiner Karriere verdient gehabt.
Ohne Totilas wird Reiter Matthias Alexander Rath eine Reise nach Rio abhaken müssen. Wie sieht Ihr Blick Richtung Olympia aus?
Werth: Matthias hat einige junge Pferde, um deren Ausbildung er sich jetzt kümmern muss.
Ich werde versuchen mit unseren Pferden möglichst gute und konstante Leistungen zu bringen, dann darf ich wohl auf einen Mannschaftsplatz hoffen. Aber erst einmal müssen wir alle reiten, dann sehen wir, wo wir im Juli, wenn nominiert wird, stehen.
In Anbetracht der internationalen Konkurrenz: Wo könnte Deutschland bei Olympia stehen?
Werth: England und der Europameister Niederlande werden stark sein. Aber wenn wir mit der bestmöglichen Mannschaft antreten und alle gesund bleiben, ist es nicht vermessen oder unverschämt zu sagen: Da wird es für die anderen zumindest schwer, besser zu werden.
Sie haben in Ihrer langen Karriere alles gewonnen, was man gewinnen kann, aber satt scheinen Sie nicht zu werden. Was treibt sie an?
Werth: Ganz einfach: Die Arbeit mit Lebewesen. Ich gehe ja nicht jeden Tag ins Schwimmbad oder auf die Tartanbahn. Das heißt, es wird nicht einseitig oder langweilig. Der Sport und auch die Zucht haben sich so extrem weiterentwickelt, dass auch ich nach fast 30 Jahren Karriere jeden Tag dazulerne. Mich elektrisiert es – heute noch viel mehr als früher –, ein junges Pferd auszubilden. So lange der Spaß da ist und die Gesundheit mitmacht, werde ich reiten. Der Turniersport wird sicher irgendwann weniger.
Mit Ihrem Wallach Gigolo holten Sie 1996 Ihr erstes Olympia-Gold, ritten mit ihm von Erfolg zu Erfolg. Wäre er in der heutigen Zeit auch noch Weltklasse?
Werth: Er entsprach zwar nicht dem modernen Reitpferdetypen, aber von seiner Leistungsfähigkeit, Einstellung und Leichtigkeit her wäre er auch heute noch vorne mit dabei.
Stichwort Erfahrung: Bei der EM in Aachen leisteten Sie sich einen dicken Patzer, Sie ritten ein falsches Element. Normalerweise ärgert man sich dann und lacht später drüber. Sie haben noch im Viereck gelacht. Haben Sie sich später geärgert?
Werth: Nein, bei so viel Blödheit braucht man das nicht. Ich habe es als humoristische Einlage abgehakt. Das wird mir bei einem Championat hoffentlich nicht noch einmal passieren!