Handball-Nationalspieler Karol Bielecki ist auf einem Auge blind. Auch ihm das räumliche Sehen fehlt, trifft er nach Belieben. Sein Ziel: der EM-Sieg.
Breslau.
Wenn in einem drei Meter breiten und zwei Meter hohen Handballtor ein 1,92 Meter großer Thierry Omeyer steht, dann ist es gar nicht so einfach, den Ball in dieser Fläche unterzubringen. Schon so einige Schützen scheiterten bei der Europameisterschaft in Polen an dem zweifachen Olympiasieger, vierfachen Weltmeister und dreifachen Europameister, der das Tor des Franzosen bewacht – nicht aber Karol Bielecki.
Allein neunmal traf der polnische Nationalspieler im Spiel gegen Frankreich, das der Gastgeber überraschend deutlich 31:25 gewann. Es war der erste Sieg der Polen gegen die französische Auswahl seit 22 Jahren.
Rückkehr mit Schutzbrille
Damit betont die Mannschaft des deutschen Trainers Michael Biegler ihre Titelambitionen. Wenn solche Treffer schon gegen Omeyer gelingen, wer sollte Bielecki dann stoppen? Am Samstagabend versuchen es die Norweger (20.30 Uhr). Doch der deutsche Nationalspieler Tobias Reichmann, der zusammen mit Bielecki beim polnischen Spitzenklub KS Kielce spielt, warnt: „Er ist auf jeden Fall sehr gut drauf.“
Dabei hat der 33-jährige Rückraumspieler, der 2007 mit dem SC Magdeburg den EHF-Pokal gewann, gegenüber seinen Konkurrenten ein großes Handicap: Er kann nur mit einem Auge sehen. Bei einem Test-Länderspiel 2010 gegen Kroatien griff Gegenspieler Josip Valcic versehentlich in Bieleckis linkes Auge. Nach zwei Operation war klar, dass die Sehkraft beim damaligen Spieler der Rhein-Neckar Löwen nicht vollständig gerettet werden konnte und das räumliche Sehen unmöglich werden würde.
Doch anstatt seine Handballkarriere zu beenden, kehrte Bielecki zwei Monate später mit einer Schutzbrille aufs Parkett zurück und warf seinen damaligen Klub fast im Alleingang mit elf Treffern zum Sieg gegen Göppingen. Im Juni 2014 machte die deutsche Nationalmannschaft ihre Erfahrungen mit dem 2,02 großen Stehaufmann. Im Qualifikationsspiel um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Katar konnte die deutsche Auswahl des damaligen Bundestrainers Martin Heuberger Bielecki einfach nicht kontrollieren. Er traf siebenmal, und Deutschland verlor sowohl das Spiel (28:29) als auch das WM-Ticket.
Bieleckis Ziel ist der EM-Sieg
Bei der EM in Polen gehört Bielecki, der inzwischen 226 Länderspiele bestritten hat, mit 14 Toren zu den besten 20 Werfern der Vorrunde. „Ich finde es beeindruckend, wie er das koordinativ hinbekommt“, sagt Tobias Reichmann. „Da kann man nur den Hut vor ziehen.“
Zufrieden ist Bielecki aber noch nicht. Die Ausgangslage für die Polen ist zwar gut, sie haben mit vier Punkten das Maximum aus der Vorrunde herausgeholt, Frankreich und Kroatien haben aber mit ihren Siegen am Donnerstag aufgeholt. Nur die besten zwei Teams jeder Gruppe ziehen ins Halbfinale ein. Davon unbeeindruckt, verfolgt Bielecki ein ehrgeiziges Ziel: Er will Ende Januar den ersten EM-Titel nach Polen holen.