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Kalkül siegt über Leidenschaft

Kalkül siegt über Leidenschaft

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Ute Thimm gewann Olympia-Bronze und EM-Silber. Dabei mochte sie die 400m-Strecke gar nicht. Heute feiert die Bochumerin ihren 50. Geburtstag

Zehn Kilometer. Eine Runde um den See. Ute Thimm läuft regelmäßig, um sich fit zu halten. Doch sind zehn Kilometer eigentlich 9990 Meter zu viel. Denn einstige Sprinterinnen können sich mit langen Distanzen auch nach dem Ende der aktiven Karriere nicht anfreunden. Selbst mit jenen nicht, auf denen sie ihre größten Erfolge feierten. Und Ute Thimm kann eine Menge Erfolge verbuchen: Olympia-Bronze und EM-Silber mit der 400m-Staffel zum Beispiel. „Selbst die 400 Meter bin ich anfangs nicht gerne gelaufen. Sondern nur weil ich dort international bessere Chancen hatte!“

„Medaillen sind in irgendeiner Schublade“

Pokale hat sie viele gewonnen. Medaillen auch. Die prestigeträchtigen Trophäen, darunter auch die Olympia-Medaille, hängen allerdings nicht an prominenter Stelle im Wohnzimmer. „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wo die Medaillen sind. In irgendeiner Schublade.“ Die Trophäen der Vergangenheit seien ihr eben nicht so wichtig, sagt die Bochumerin. „Überhaupt lasse ich mich nicht gerne feiern.“

Was sich heute allerdings nicht vermeiden lassen wird. Ute Thimm wird 50. Und einige der Gratulanten werden die Bochumerin garantiert wieder auf die erfolgreichen Sportlerzeiten ansprechen….

Das Kalkül siegt

Mit 15 Jahren trat Ute Thimm dem ASV Köln bei. Eigentlich eine Spätberufene, die ihre Unerfahrenheit auf den 100 und 200 Metern durch Leidenschaft und Ehrgeiz wettmachte. Und Ute Thimm war schnell. Sie war bei den Deutschen Meisterschaften erfolgreich, stieß aber irgendwann an ihre Grenzen. Wollte sie international an den Start gehen, musste sie sich entscheiden. „Auf den 100 Metern bin ich zu langsam. Bei den 200 Metern ist es zu schwer, einen Staffelplatz zu ergattern“, dachte sich Ute Thimm damals. So siegte letztendlich Kalkül über Leidenschaft.

Mit 21 Jahren entschied sich Thimm für die 400m. Eine Distanz, für die sie nie großartig trainiert hatte, die sie nicht sonderlich mochte, die sie bei sporadischen Starts allerdings erfolgreich gemeistert hatte. „Als ich 18 war, lief ich einmal die 400m bei einem Meeting in Schweden und stellte gleich einen Rekord auf.“ Und so waren es ausgerechnet die eher ungeliebten 400m, die der Sozialpädagogik-Studentin den Weg in die Nationalmannschaft ebneten. 1981, beim Europacup in Zagreb, trug sie erstmals den Bundesadler auf dem Trikot. Ein Traum wurde wahr.

Bronze in Los Angeles

In der 4x400m-Staffel war sie stets die zweite Läuferin. Auch 1984, bei den Olympischen Spielen in Los Angeles. „Das war ein richtiges Event. Und wir Athleten wurden selbst zu Sporttouristen, besuchten viele Wettbewerbe anderer Sportler.“ Ihre eigenen Starts absolvierte Thimm erfolgreich, holte Bronze mit der 4x400m-Staffel, wurde Sechste auf den 400m und sicherte sich mit der 4x100m-Staffel den vierten Platz. Ja, Ute Thimm konnte tatsächlich zurück auf die geliebte Kurzdistanz, war die Schlussläuferin der 100m-Staffel. „Das hatte sich schon 1983 bei der WM in Helsinki so ergeben. Aber in beiden Staffeln zu laufen, war nicht nur körperlich, sondern vor allem mental anstrengend. Es lag ja nur eine Stunde zwischen den Rennen.“

EM ’86: Der Disqualifikation folgt Silber

Zwei Jahre darauf lief Thimm bei der EM in Stuttgart. „Vor heimischem Publikum. Das war natürlich besonders schön.“ Doch sind es nicht nur schöne Erinnerungen, die Ute Thimm mit den Meisterschaften in Stuttgart verbindet. Der Lauf mit der 4x100m-Staffel brachte den fünften Platz – und die anschließende Disqualifikation. „Ich bin zu früh losgelaufen, hatte den Wechselraum bei der Stabübergabe schon verlassen“, erinnert sich Thimm. Ein Desaster. Und nur knapp eine Stunde später sollte sie mit der 400m-Staffel starten. „Ich fühlte mich noch immer total schuldig, bin wie in Trance gelaufen.“ Trotzdem war Ute Thimm an diesem Tag schnell. Verdammt schnell, am Ende ferierte sie mit ihrem Team den Gewinn der Silbermedaille. „Damit hatten wir im Traum nicht gerechnet.“

Karriereende nach Bestzeit

Beinahe hätte es auch mit der 4x100m-Staffel zur Medaille gereicht. 1988, bei den Olympischen Spielen in Seoul, trennten nur wenige Hundertstelsekunden die deutsche Staffel vom Bronze-Rang. „Die an dritter Position liegende Russin hatte mit einer Zerrung zu kämpfen. Ich dachte eigentlich, dass ich sie kurz vor dem Ziel noch eingefangen hätte. Aber das wäre ja auch ungerecht gewesen.“ Mit der 400m-Staffel erreichte Ute Thimm Rang fünf, auf den 400m aber konnte sie sich trotz persönlicher Bestzeit nicht für das Finale qualifizieren. Thimm: „Schon irgendwie komisch, die Karriere mit einer Bestzeit zu beenden.“

Als Trainerin ebenfalls erfolgreich

Dabei sollte aus der anschließenden Babypause gar kein Karriereende werden. „Ein Jahr, dann wollte ich gleich wieder loslegen“, sagt Thimm. „Aber als ich Mutter von Zwillingen wurde, waren diese Pläne dahin.“ Erfolgreich trainierte sie in den Folgejahren die Siebenkämpferin Sabine Braun, begleitete diese auf dem Weg zum Weltmeisterschaftstitel 1991 und zu den Olympischen Spielen in Barcelona (1992, Bronze).

Mittlerweile ist Ute Thimm häufig auf Nachwuchswettbewerben zu sehen. Nicht länger als Trainerin, sondern als Unterstützung für ihre inzwischen 18-jährige Tochter Ina. Ebenfalls eine Spätberufene in der Leichtathletik – ebenfalls eine Sprinterin. Und die 400m – die mag die Tochter Ina auch nicht…