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Hellmut Krug spricht über das Champions-League-Finale 1998

Hellmut Krug spricht über das Champions-League-Finale 1998

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Foto: imago
Eine kurze Schlafstörung, 500 Millionen Zuschauer, ein intensives Fußballspiel und ein Glas Champagner – Schiedsrichter Helmut Krug spricht mit uns über das Finale der Champions League zwischen Real Madrid und Juventus Turin, das er am 20. Mai 1998 in Amsterdam geleitet hat.

Odenthal. 

Hellmut Krug ist weggezogen aus Gelsenkirchen. Der 57-Jährige lebt heute in Odenthal, der Heimat seiner Frau. Der Blick vom Wohnzimmer fällt ins Grüne. Krug ist der erste deutsche Schiedsrichter, der ein Finale der Champions League geleitet hat. Es war am 20. Mai 1998 in Amsterdam: Real Madrid siegte mit Trainer Jupp Heynckes 1:0 gegen Juventus Turin.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie das Endspiel pfeifen werden?

Hellmut Krug: Nach dem Halbfinale, also etwa vier Wochen vor dem Endspiel. Borussia Dortmund hatte damals im Halbfinale gegen Real Madrid verloren, damit war der Weg frei für einen Schiedsrichter aus Deutschland.

Haben Sie sich während des Halbfinales gewünscht, dass Dortmund verliert, damit Sie Ihre Chance kriegen?

Krug: So weit würde ich nicht gehen, denn es ist natürlich immer wunderbar, wenn deutsche Mannschaften im Finale stehen. Aber durch den Sieg von Real eröffnete sich für mich persönlich eine einmalige Chance.

Und alle riefen plötzlich an und wollten gratulieren?

Krug: Nein, ganz und gar nicht. Die Uefa unterrichtet die Öffentlichkeit erst zwei Tage vor dem Finale über die Schiedsrichter-Ansetzung. Als mein Name dann veröffentlicht wurde, habe ich mein Telefon abgeschaltet, wollte allen Interview-Anfragen aus dem Weg gehen, mich ausschließlich aufs Spiel konzentrieren.

Und sind sofort nach Amsterdam gefahren?

Krug: Nein, die Reise organisieren die Schiedsrichter nicht selbst, sondern die Uefa. Wir sind einen Tag vor dem Spiel angereist. Am Flughafen hat dann ein Schiedsrichter-Betreuer auf uns gewartet und mein Team und mich zum Hotel gefahren. Am Abend hat der Betreuer uns in ein Restaurant ausgeführt, in dem wir eine ruhige Ecke für uns hatten, um etwas zu essen und zu trinken.

Aber kein Bier?

Krug: Natürlich gab es zum Essen ein Glas Wein und, da ich an dem Tag Geburtstag hatte, auch ein Glas Sekt. Alles in Maßen. Am Vorabend des Spiels weiß jeder, dass er sich mit Alkohol zurückhalten muss.

Und was passierte am Spieltag selbst?

Krug: Nach dem Frühstück gab es im Stadion eine Sicherheitsbesprechung mit den Klubs, die für uns nach einer Dreiviertel-Stunde beendet war. Dann geht es eigentlich nur noch darum, die Zeit bis zum Anpfiff am Abend irgendwie zu überbrücken. Die Anspannung ist enorm. Eigentlich kann ich vieles ausblenden, aber vorher hatte ich mir dummerweise nicht verkneifen können, noch einen Blick in die WAZ zu werfen.

Was stand dort Schlimmes?

Krug: Dass weltweit rund 500 Millionen Menschen zuschauen werden, eine unvorstellbare Zahl, bei der Du schon den Atem anhältst. Du denkst darüber nach, was alles passieren kann. Schiedsrichter haben in der Öffentlichkeit häufig leider wenig Kredit. Eine Fehlentscheidung auf dieser sportlichen Ebene, und eine Karriere kann einen empfindlichen Einbruch erleben.

Ein ziemlich hoher Druck…

Krug: …nicht nur ziemlich hoher Druck, sondern sehr hoher Druck, der zudem in keinem Verhältnis zur damaligen Bezahlung stand. Wir Schiedsrichter haben damals 250 Schweizer Franken pro Tag bekommen, für drei Tage Amsterdam waren das umgerechnet 900 Mark. Für die Spieler von Real gab es angeblich allein für den Sieg eine Prämie von 360.000 Mark.

Deshalb kam die Rede immer auf die Goldenen Uhren für die Schiedsrichter?

Krug: Das ist Unsinn. Mich zu bestechen, hat niemals jemand versucht. Weder mit Uhren, noch mit sonst irgendetwas.

Wann haben Sie in Amsterdam denn zum ersten Mal die Spieler gesehen?

Krug: Beim Aufwärmen auf dem Rasen. Ich selbst habe mich eine halbe Stunde aufgewärmt, ungewöhnlich lang für meine Verhältnisse. Das war meine Art, Stress zu bewältigen.

Die Spieler waren genauso angespannt wie Sie?

Krug: Mit Sicherheit. Ich kannte die meisten Spieler aus früheren Begegnungen. Illgner, Raul, Roberto Carlos, Zinedine Zidane. Wenn Sie Menschen anschauen, bemerken Sie Anspannung sofort. Eine Ausnahme war Christian Karembeu von Real. Er nahm sich noch Zeit für einen kurzen Smalltalk. Und Roberto Carlos wirkte auffallend locker, eine echte Type.

Wie lief dann das Spiel aus Schiedsrichter-Sicht?

Krug: Es war ein intensives Spiel, aber mit wenig Nickeligkeiten. Ich erinnere mich noch gut, dass ich in der 2. Halbzeit bei einer Freistoß-Entscheidung links vom Strafraumeck falsch lag. Als der Pfiff raus war, kamen mir sofort Zweifel. Ich dachte nur: Hoffentlich passiert nichts. Alles ging gut, und hinterher war das Schiedsrichter-Team kein Thema.

Das bedeutet für den Schiedsrichter, dass es gut gelaufen ist?

Krug: So ist es. Nach dem Abpfiff habe ich die Siegerehrung gar nicht mehr mitbekommen, ich wollte so schnell wie möglich in die Kabine, mich setzen und in Ruhe mit meinen Kollegen durchatmen.

Was passierte dort?

Krug: Wir haben uns ein Glas Champagner gegönnt, weil alles so gut gelaufen ist. Dieser Moment ist im Rückblick der schönste: Durchzuatmen und zu wissen, dass man einen guten Job gemacht hat.

Und dann ab ins Hotel und Feierabend?

Krug: Nein, es geht Schiedsrichtern nach großen Spielen nicht anders als Spielern. Die Anspannung ist noch so groß, dass Sie an Schlaf nicht einmal denken können. Wir waren essen und haben noch sehr lange zusammen gesessen. Gegen halb sechs war ich im Hotel und habe mich eine Stunde hingelegt.

Haben Sie Ihr Schiedsrichter-Trikot vom Endspiel noch?

Krug: Nein, bis auf ein paar Fotos, die in meinem Arbeitszimmer hängen, habe ich nichts aufgehoben. Und hin und wieder wirst Du ohnehin an den Final-Abend erinnert. Vor kurzem traf ich Jupp Heynckes im Stadion in Leverkusen. Wir kamen uns zufällig entgegen, er grinste, breitete die Arme aus und rief: „Da ist ja mein Lieblingsschiedsrichter!“ Jetzt kann er das große Erlebnis noch einmal wiederholen. Im Gegensatz zu mir.

Traurig?

Krug: Nein, überhaupt nicht. Ich hab es erlebt, und ich finde, dass Loslassen eine wichtige Eigenschaft im Leben ist. Ich werde mir das Spiel in Ruhe und mit Genuss im Fernsehen anschauen. Die beiden besten Mannschaften Europas kommen aus Deutschland und spielen gegeneinander, herrlich!