In der Hauptstadt Georgiens , wo am Sonntag die deutsche Nationalmannschaft um Punkte für die EM-Qualifikation spielt, wurde Patrick Milchraum Meister und Pokalsieger.
Tiflis/Stuttgart.
Von welcher Liga träumen junge Fußballer, in der sie später mal kicken wollen? Der englischen Premier League oder spanischen Primera División? Ganz sicher. Eine Karriere in der Umaghlessi Liga schwebte auch Patrick Milchraum nicht so wirklich vor. Und trotzdem war der langjährige Zweitligaspieler in der Saison 2012/2013 erster und bislang einziger deutscher Profi, in die 1. Liga Georgiens wechselte und je eine Halbserie für den FC Sestaponi sowie Dinamo Tiflis auflief. In der Hauptstadt, wo am Sonntag (18 Uhr MEZ/LIVE bei uns im Ticker) die deutsche Nationalmannschaft um Punkte für die EM-Qualifikation spielt, wurde Milchraum gar Meister und Pokalsieger. Ein Interview.
Herr Milchraum, warum bitte in drei Teufels Namen sind Sie nach Georgien gegangen?
Patrick Milchraum: Ich wollte schon immer mal im Ausland spielen. Das war nach meiner Station in Karlsruhe gar nicht mehr so einfach, ich kam dort kaum noch zum Einsatz. Dann hat mich aber mein damaliger Teamkollege Alexander Iashvili gefragt, ob ich mir nicht Georgien vorstellen könnte.
Ihr Wechsel zum FC Sestaponi war dann mehr Abenteuer oder eine ernsthafte Aufgabe?
Patrick Milchraum: Sie haben recht, es ist nicht das klassische Ziel für einen Fußballprofi. Aber ich wollte lieber irgendwo um die Meisterschaft spielen als in der 2. Liga zu kicken. Sestaponi war Titelverteidiger, von daher habe ich mir auch Hoffnungen auf den Meistertitel gemacht – nach dem Wechsel zu Dinamo Tiflis hat das ja auch geklappt.
Sie waren früher Juniorennationalspieler. Traurig, jetzt nicht als Aktiver zur EM-Qualifikation nach Tiflis zu kommen?
Patrick Milchraum: Nö, vielleicht wenn ich es knapp verpasst hätte. Aber da muss ich schon ehrlich zu mir selbst sein: In meinem Jahrgang hatten Schweinsteiger, Trochowski oder Odonkor mit seiner Schnelligkeit dann doch nochmal eine andere Klasse als ich.
Wie ist es denn um die Fußballbegeisterung im Kaukasus bestellt?
Patrick Milchraum: Die ist eher klein, Rugby ist hier groß und Ringen natürlich. Aber wenn man sich dann die Eintrittspreise anschaut, bekommt man doch schnell die Armut vorgeführt.
Was kostet denn das Ticket?
Patrick Milchraum: Ach, das sind zwei Euro – jedoch viel Geld für die Georgier. Sestaponi hat ein Stadion, das 8000 Zuschauer fasst. Wenn da mal ein paar Zuschauer hingekommen sind, war das immer noch stimmungsvoller als in Tiflis, wo 2000 vielleicht zugeschaut haben, aber 55.000 hineinpassen.
Dann schauen die Leute in den Kneipen wohl auch keinen Fußball.
Patrick Milchraum: Eher nicht, denn teilweise geht das Niveau in der 1. Liga verglichen mit Deutschland bis in die Oberliga runter. Das ist nicht so attraktiv. Und manchmal haben wir auch mehr auf einem Sportplatz als in einem Stadion gespielt, sodass man dachte, man schaut eher beim Bezirksligaspiel des Bruders zu. Aber wissen Sie was?
Sagen Sie’s.
Patrick Milchraum: Es gibt in Tiflis tatsächlich ein Hofbräuhaus. Dort wurde englischer Fußball gezeigt, die Champions League konnte man dort schauen.
Patrick Milchraum – Wer hat in Georgien in der Kabine das Sagen?
Sind das alles Profis oder gehen die noch arbeiten?
Patrick Milchraum: In Tiflis schon, da gab es nur Profis, in meiner Mannschaft waren noch sechs Spanier, ein Mazedonier und ein Tscheche. Auch das Trainingsgelände war vom Feinsten. Dinamo hatte allein acht Leute, die sich 24 Stunden nur um die Profimannschaft gekümmert haben.
Wo kommt denn das Geld her?
Patrick Milchraum: Na, vom Präsidenten. Roman Pipia ist mit der reichste Mann in Georgien, einer von ein paar Milliardären. Wir hatten zwar einen Trikotsponsor, doch das richtige Geld kommt durch den Präsidenten. Und wenn’s nicht läuft, dann zitiert der auch schon mal den Trainer zu sich und Spieler bekommen kein Geld. Das war bei mir aber nie der Fall.
Wer hat in der Kabine das Sagen – der Trainer, der Kapitän oder der Präsident?
Patrick Milchraum: Der Trainer. Den Präsidenten sieht man selten.
Gibt es in Georgien überhaupt professionelle Strukturen? Man hat ja mal gehört, dass Levan Kobiashvili Verbandspräsident werden möchte.
Patrick Milchraum: Er hat auf jeden Fall einen guten Ruf dort und wäre gemeinsam mit Iashvili und Nationaltrainer Kachaber Zachadse der richtige Mann, um Professionalität in den Verband zu bringen. Wichtig wird es sein, die Nationalmannschaft nach vorne zu bringen und den Vereinsmannschaften auf ein höheres Niveau zu verhelfen – nicht nur in Tiflis. Aber dort sollen jetzt auch keine Ausländer mehr spielen, sondern nur junge Georgier.
Treten denn die Jugendlichen gegen den Ball?
Patrick Milchraum: Ja, Tiflis hat eine Jugendakademie, die Cristiano Ronaldo und Andrej Shevchenko eröffnet haben. Und auch die U-Nationalteams sind sogar recht gut. Das Problem ist, dass es nur zwei Mannschaften im Land gibt, bei denen das Niveau passt. Es können also nicht alle Spieler dort unterkommen. Und wer eine Chance hat, geht nach Russland oder in die Ukraine. Für viele Familien geht es schließlich auch darum, mit dem Jungen Geld zu verdienen. Wenn dann ein Angebot kommt, sehen viele Eltern das schnelle Geld und achten nicht wie in Deutschland darauf, was Sinn macht.
Sie waren bisher der einzige deutsche Profi im Kaukasus. Können Sie es anderen Spielern empfehlen?
Patrick Milchraum: Meine Familie hat sich sehr wohl gefühlt, die war immer mal wieder für ein, zwei Monate bei mir. Es gibt dort wunderschöne Ecken, eine schöne Altstadt mit super Cafés. Und das Wetter ist sehr mild, im Sommer haben wir jeden Tag Sonne. Wenn Tiflis am Meer liegen würde, wäre es ein Ort, an den ich jedes Jahr in den Urlaub fliegen würde. Meine Freundin sagte schon mehrmals, dass sie inzwischen Tiflis vermisst.
Ehrlich? Wie sieht das Land aus, wenn man aus Tiflis mal 50 Kilometer mit dem Auto rausfährt?
Patrick Milchraum: Da beginnt dann das Abenteuer, man könnte fast schon Wildnis sagen mit vielen Bergen, Wäldern und Tieren. In den Dörfern lässt sich erkennen, dass hier kein großer Luxus herrscht. Natürlich gibt es auch in Tiflis Häuser, die aussehen, als würden sie gleich einstürzen. Auch die Infrastruktur ist nicht so gut. Da merkt man schon, dass es dem Land bis vor Kurzem noch richtig schlecht ging, der Krieg und die Unterdrückung sind noch nicht allzu lange vorbei.