Der Bochumer Autor Ben Redelings verzichtete 31 Tage lang auf sämtliche Fußball-Informationen. Wir haben uns mit ihm darüber unterhalten.
Bochum.
Entdeckt oder hört Ben Redelings einen originellen Spruch eines Fußballers, archiviert er ihn sofort. Es kommt garantiert der Tag, an dem er ihn verwenden wird. In einem seiner vielen Fußballbücher, an einem seiner Talk-Abende, in einer seiner Kolumnen oder in seinem Blog. Der Bochumer pflegt die Fußballkultur und lebt davon. Deshalb war es ein außergewöhnlicher Selbstversuch, den er im Mai wagte: In dem Monat, in dem die meisten Entscheidungen fielen, verzichtete er 31 Tage lang auf sämtliche Fußball-Informationen. „Fußball-Fasten. Das Experiment“ heißt das neue Buch des 39-Jährigen, das nun vor Beginn der Bundesliga-Saison erschienen ist.
Am Freitag startet die Bundesliga mit dem Spiel Bayern gegen Hamburg, und Ben Redelings geht bestimmt mit seiner Familie nett ins Restaurant, weil er seit Mai eingesehen hat, dass so ein Fußballspiel nicht mehr so wichtig ist…
Ben Redelings: (lacht) Nein. Es hat sich zwar einiges geändert, aber die Bundesliga schaue ich mir trotzdem an.
Was hat sich denn geändert? Was hat das Experiment mit Ihnen gemacht?
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Ben Redelings, 1975 in Bochum geboren und in seiner Stadt noch immer fest verwurzelt, ist Fußball-Buchautor, Kolumnist, Filmemacher und Veranstalter der „Scudetto“-Fußballabende. Die „Deutsche Akademie für Fußballkultur“ meint, er sei „der ungekrönte Meister im Aufspüren kurioser Fußballgeschichten“. Und natürlich ist er auch glühender Fan des VfL Bochum. Sein neues Buch „Fußball-Fasten“ ist im Verlag „Die Werkstatt“ erschienen (160 Seiten; 12,90 €)
Redelings: Das Brimborium drumherum nehme ich jetzt nicht mehr so wichtig. Ich ignoriere zum Beispiel sämtliche Testspiele, die ja bis zur Übersättigung gesendet werden. Ich hechele auch nicht mehr jeder vermeintlich wichtigen Transfernachricht hinterher. Es macht einen nämlich auch krank, zu glauben, immer ganz aktuell am Ball sein und alles zu jeder Zeit online verfolgen zu müssen.
Dass das Fußballgeschäft überhitzt ist, wussten Sie aber doch vorher?
Redelings: Klar, das war ja auch einer der Gründe für das Experiment. Uli Hoeneß hat mal gesagt, es sei pervers, dass die Benennung eines Co-Trainers der Nationalmannschaft in der Tagesschau vermeldet wird. Ich finde es interessant, wenn so etwas einer sagt, der Teil des Geschäfts ist. Ich habe gemerkt: Auch mir ist das alles zu viel geworden.
Und daraus entstand dann die Idee für das Fußball-Fasten?
Redelings: Ja, als Besessener wollte ich sehen, ob es überhaupt noch möglich ist, durchs Leben zu gehen, ohne dem Fußball zu begegnen. Mir war aber nicht klar, dass es am Anfang so krass sein würde, von hundert auf null zu kommen. Eigentlich ist das nämlich gar nicht möglich.
Warum?
Redelings: Du gehst in die U-Bahn, und auf einer Leinwand laufen Nachrichten. Du musst dort also einen anderen Weg nehmen. Und ich hatte vorher geglaubt, im Radio käme ab und zu mal Fußball vor. Als ich es vorab getestet habe, war gleich die erste Nachricht: Klopp ist beim BVB Geschichte. Das hieß also: Auch Radiohören war tabu. Internet, Facebook, SMS – alles war ausgeschaltet.
Und wie liest sich unsere Zeitung, wenn sie wie eine Girlande aussieht, weil Ihre Frau vorher alles über Fußball ausgeschnitten hat?
Redelings: Es hat nicht funktioniert. Meine Frau und mein Schwiegervater hatten die Zeitung eine Stunde lang bearbeitet, und beide hatten eine nicht im Sportteil stehende Meldung über Schalke-Chef Tönnies übersehen. Also habe ich nach dem vierten Tag auch das Zeitunglesen eingestellt. Damit war ich dann tatsächlich komplett aus der Welt, ich konnte ja überhaupt keine Nachrichten mehr konsumieren.
Wie haben Sie die Zeit genutzt?
Redelings: Ich habe zwei bis drei Stunden am Tag eingespart und neben dem Buch über das Fasten auch ein Kinderbuch fertiggestellt.
Sind Sie überhaupt noch vor die Tür gegangen? Man konnte ja mal ungewollt ein Gespräch aufschnappen…
Redelings: Nach elf Tagen habe ich meine Regeln etwas modifiziert und mich mal wieder unter die Leute getraut. Wenn man dann nur Fetzen mitbekommt, beginnt man zu deuten. Ich dachte zum Beispiel, Horst Heldt sei auf Schalke entlassen worden.
Fühlt man sich auf der Straße wie ein Verfolgter, wenn man unter dem Zwang steht, nichts über Fußball mitbekommen zu dürfen?
Redelings: Ja, man wird paranoid. Es war ja auch ein Entzug. Ich fühlte mich wie ein Außenstehender, wie einer, der als Einziger nicht auf eine Party eingeladen wird. Es gab groteske Szenen: Beim Spaziergang mit meiner Familie ließen sich mein Vater und die Kinder plötzlich zurückfallen, weil sie sich endlich über Fußball unterhalten wollten.
Was fehlte Ihnen am meisten?
Redelings: Das Gemeinschaftliche. Das Schwätzchen. Wir im Ruhrgebiet reden doch nicht über das Wetter, wir reden über Fußball. Manche Ergebnisse nicht mitbekommen zu haben, hat mich nicht gestört.
Im Mai hätte Ihr VfL Bochum absteigen können…
Redelings: Ich hatte das vorher ausgeschlossen, und dann verlor der VfL unmittelbar vor meinem Fasten viermal. Das hat mir schon zugesetzt.
Haben Sie deshalb in der Stadt auf jeden Gesichtsausdruck geachtet?
Redelings: Ja, dieses Aufsaugen von Regungen konnte ich nicht ausschalten. Sogar meine Schwiegermutter wusste ja auf einmal mehr vom Fußball als ich – und sie hat es ausgekostet…
Was passierte an dem Tag, an dem das Fasten beendet war?
Redelings: Obwohl ich mir alle Zeitungen aufbewahrt hatte und unendlich lange im Internet hätte recherchieren können, habe ich nicht auf Anhieb alles nachgelesen. Ich habe einfach keinen Drang verspürt.