Franz Beckenbauer, Andreas Köpke und Klaus Allofs waren für Olympique Marseille aktiv. Alle schwärmen noch heute vom Flair, das den Gegner des FC Bayern im Viertelfinale der Champions League umgibt – sportlich sehen sie den deutschen Rekordmeister im Vorteil.
München/Marseille.
Marseille, sagt Franz Beckenbauer, Marseille, „das war ein Traumland.“ Wo am Mittwochabend Bayern München sein Hinspiel im Viertelfinale der Champions League bestreitet, hat der „Kaiser“ mal ein knappes Jahr verbracht, er sollte also wissen, wovon er spricht, auch, wenn es bereits mehr als 20 Jahre zurückliegt. „Es war ja ein kurzer Auftritt, ich hab mir das auch anders vorgestellt“, erinnert sich Beckenbauer an die Saison 1990/91.
Beckenbauer heuerte im September 1990 in Marseille an, ein paar Wochen nach dem Gewinn des WM-Titels mit der deutschen Nationalmannschaft in Rom. „Eigentlich war ich noch erholungsbedürftig“, bekennt er heute. Nur bis zum Dezember arbeitete Beckenbauer als „sportlicher Direktor“ mit Assistent Holger Osieck – im Januar 1991 wurde der „Kaiser“ von Vereinspräsident Bernard Tapie auf den Posten des „technischen Direktors“ weggelobt, der Belgier Raymond Goethals übernahm.
Beckenbauer genoss die Golfplätze
Beckenbauer mag das ganz gelegen gekommen sein, „ich habe mich sehr wohl gefühlt“, berichtet er über seine Tage in Marseille, „fantastisch“ sei es dort gewesen, „schöne Golfplätze“ gebe es dort. Im Juni 1991 aber „war der Zauber wieder vorbei“, tatsächlich erlebte Beckenbauer die ersten Minuten der, wie er es nennt, „schwärzesten Stunde des französischen Fußballs“ mit: „Plötzlich kam Polizei auf den Trainingsplatz und hat mir drei Spieler weggeholt.
Besagte drei Spieler standen unter dem Verdacht der Steuerhinterziehung, richtig dick aber kam es 1993 nach dem fünften Meistertitel nacheinander und dem Sieg im Endspiel der Champions League gegen den AC Mailand (1:0), übrigens in München und unter Mithilfe von Rudi Völler. Der Meistertitel wurde „OM“ im Nachhinein aberkannt – Tapie hatte vor dem Punktspiel bei US Valenciennes Bestechungsgelder bezahlt. Es war des Beginn des Absturzes.
Abstieg, Haftstrafen und Beinahe-Abstieg
Ein Jahr später wurde Marseille in die 2. Liga zwangsversetzt, der exzentrische Tapie 1997 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt, der Klub taumelte dem Bankrott entgegen. Mitte 2006 der nächste Skandal: Diesmal ging es um illegale Transaktionen bei den Transfers von Spielern, hinterzogene Sozialabgaben undsoweiter aus den Jahren ab 1997. 13 Personen wurden zu teils mehrjährigen Freiheits- und hohen Geldstrafen verurteilt.
Der Zuneigung der Anhänger tat dies erstaunlicherweise nie einen Abbruch. „Olympique“, erinnert sich Andreas Köpke, „hat fanatische Fans. Die leben für den Fußball. Eine Niederlage sehen sie als persönliche Beleidigung.“ Köpke weiß, wovon er spricht, er stand von 1996 bis 1998 bei „OM“ im Tor, nachdem er damals von VfB Stuttgart eigentlich zum FC Barceloina hatte wechseln wollen. Marseille war aber offensichtlich keine schlechte Alternative.
Köpke hat noch immer ein Haus in Marseille
„Das war eine tolle Zeit, vom Fußball, aber auch von der Lebensqualität her. Wo andere Urlaub machen, durfte ich Fußball spielen“, berichtet Köpke, der noch immer ein Haus in Marseille sein eigen nennt. Ehe Köpke kam, hatten im Stade Velodrome bereits die deutschen Nationalspieler Karlheinz Förster (1986 bis 1990), Klaus Allofs (1987 bis 1989) und Völler (1992 bis 1994) gespielt. Sie alle wurden Meister – Köpke nicht.
Seit 2006 hat sich Marseille sportlich wieder hochgerappelt, der neunte (anerkannte) Meistertitel folgte 2010. So groß die Euphorie um den populärsten Klub Frankreichs ist, so grenzenlos scheint das Anspruchsdenken am Mittelmeer zu sein. „Wie bei den Bayern herrscht da eigentlich immer der Zwang, gewinnen zu müssen“, sagt Köpke. „Marseille ist die Fußball-Hauptstadt in Frankreich. Das ist ein bisschen vergleichbar mit Bayern“, betont auch Allofs.
Allofs sieht Bayern als Favorit
Abgesehen vom Einzug ins Viertelfinale der Champions League (gegen Inter Mailand) läuft es derzeit sportlich eher schlecht für „OM“ und Trainer Didier Deschamps, Weltmeister 1998 und Europameister 2000. Der Klub, vergangene Saison immerhin Vizemeister, einst Heimat auch der ehemaligen und aktuellen Münchner Spieler Jean-Pierre Papin und Franck Ribery, ist aktuell nur Tabellenneunter. Was die kommende Saison angeht, ist Europa ganz weit weg.
„Die Bayern“, sagt Allofs, „müssen sich nicht fürchten“, die aktuelle Mannschaft von „OM“ sei spielerisch „nicht mehr so dominant wie zu früheren Zeiten.“ Früher, da spielten dort unter anderem die Herren Cantona, Desailly, Tigana, Drogba oder Nasri. Bayern sei „Favorit“, glaubt auch Köpke, er warnt aber auch, Marseille bloß nicht zu unterschätzen: „Für die ist die Champions League die letzte Chance, um eine bisher verkorkste Saison noch zu retten.“ (sid)