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Wenn Leistungssportler nach dem Spiel sich in der Hotelbar herumtreiben und ein Bierchen trinken, bekommen sie, falls jemand petzt, bis heute Ärger mit dem Trainer. Soweit, so normal. Als Matthias Sammer, er war zuvor mit Dynamo Dresden im Halbfinale des Uefa-Pokals gegen den VfB Stuttgart ausgeschieden, am Abend in der Hotelbar im Prinzip dasselbe machte und dabei mit dem Stuttgarter Trainer Arie Haan plauderte, musste er in Dresden zum Rapport – bei einem Stasi-Offizier. Es war das Jahr 1989, und die DDR krallte sich mit aller Macht an ihre bröckelnde Existenz. Sogar die Unauffälligen mussten Repressalien fürchten.
Von der Begebenheit hat Matthias Sammer jetzt in einem Interview mit Sport Bild erzählt. Das Magazin hatte den Europameister und Ex-Borussen mit seiner Stasi-Akte konfrontiert. Skandalträchtig Neues ist dabei wohl nicht herausgekommen, eher schon ein beklemmender Blick in ein Stück deutscher Geschichte.
Als Spieler von Dynamo Dresden war Sammer formal Volkspolizist und später Soldat
Matthias Sammer, Jahrgang 1967, avancierte in den letzten Jahren der DDR zum Fußball-Profi. Als Spieler von Dynamo Dresden war er formal Volkspolizist und später Soldat, Mitglied des Wachbataillons Feliks Dzierzynski. Dieses war der militärische Arm der Staatsicherheit, der Stasi Erich Mielkes, seine Mitglieder galten als linientreu: „Ich sah weder eine Waffe, noch musste ich an einer Übung teilnehmen“, erzählt Sammer von jener Zeit, in der er nur zur Vereidigung und zur Entlassung Uniform getragen habe.
Die Entscheidung für das Stasi-Bataillon traf er als 19-Jähriger zunächst wohl, so lassen sich seine Aussagen interpretieren, um dem ernsthaften Wehrdienst zu entgehen, aber auch, weil sein Vater Klaus (ebenfalls Profi und später Trainer), der sich dem System immer zu entziehen versucht hatte, ihm zugeraten hatte, offenbar um Ärger zu vermeiden: „Es gab Zwänge, denen Du Dich nicht entziehen konntest. Das war natürlich traurig und ein Bestandteil eines falschen Systems. Und es war auch alternativlos“, sagt Sammer dazu.
Akte zeigt Matthias Sammer eher als Opfer
Insgesamt zeigt ihn seine Akte eher als Opfer, ausgespitzelt, so schreibt Sport Bild, von Mannschaftskameraden und Betreuern. Sammer selber sagt, er sei nie aufgefordert worden, als IM, als Inoffizieller Mitarbeiter, für die Stasi zu spitzeln. Gleichzeitig aber zeigt er Verständnis für diejenigen, die ihm hinterherstiegen: „Ich verurteile niemanden, der ein IM war: Es ging damals darum, sich an Situationen anzupassen.“ Ein verständlicher Satz, aber einer, der die Opfer der Stasi ignoriert, die, wenn man das so flapsig formulieren darf, deutlich weniger Glück mit dem System hatten.
Ein Satz aus der Akte, der Vergangenheit, scheint aber noch heute zu passen. Die Stasispitzel schreiben in ihrer Akte über Sammer: „In seinem Verhalten zeigen sich Ansätze von Überheblichkeit, in dem er vielfach andere Spieler als ,Nichtskönner’ degradiert.“