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Marcus Urban hatte ständig Angst, irgendeine feminine Geste würde ihn verraten. Seine Fußball-Karriere war zu ende, bevor sie richtig begonnen hatte: „Es war ein Kampf wie der von Don Quichote.“ Urban war ein talentierter Fußballer – und schwul.
Auf der Insel hat sich ein homosexueller Profi-Fußballer geoutet. Justin Fashanu hat Farbe bekannt, er hat geredet, als erster in der Männerdomäne Fußball, und er wird dies in den nächsten Jahren teuer bezahlen, am Ende mit seinem Leben. Der Erfurter Marcus Urban weiß 1990 nichts von Fashanu, er ist mit sich selbst beschäftigt. Er ist jung, er steht am Anfang einer viel versprechenden Karriere, er hat den ersten Profivertrag vor Augen. Er ist talentiert, intelligent, er ist Junioren-Nationalspieler der DDR. Und er ist schwul.
Das wird, was Marcus Urban damals noch nicht weiß, das Todesurteil für seine Fußballer-Karriere sein noch bevor sie richtig begonnen hat. Heute, zwanzig Jahre später, fragt sich Marcus Urban nicht mehr, warum es mit der Bundesliga nichts geworden ist: „Es kam viel zusammen“, sagt Urban, „aber ein wesentlicher Teil war das ständige Versteckspielen.“
„Ich hatte ständig Angst, irgendeine feminine Geste würde mich verraten“
Vielleicht passt es ja, dass Marcus Urban damals Marcus Schneider hieß. Er trug den Nachnamen seines Stiefvaters, den er erst Jahre später wieder ablegen sollte. Auch auf dem Platz hatte Urban noch nicht zu sich gefunden. Mit dem Selbstvertrauen, das er damals nicht besaß, sagt er heute: „Ich war ein defensiver Mittelfeldmann, aber einer mit hoher Spielintelligenz.“ Trotzdem zog Urban früher im Zweifelsfall nicht zurück, statt das Spiel zu gestalten, gab er den aggressiven Kettenhund, der dem gegnerischen Spielmacher den Schneid abkaufte. Eine Rolle. Unter Wert, aber weit entfernt vom Ruch der Homosexualität.
Urban nennt das heute Überlebensstrategie. Die eignete er sich für jede Lebenslage an, für die Kabine, für die Schulklasse an der KJS, der Kinder- und Jugendsportschule in Erfurt, in der der DDR-Sport seine Elite ausbildete. Urban unterdrückte nicht nur seine Neigung. Das latente Gefühl, schwach zu sein, nicht dazu zu gehören, versuchte er durch übertriebenes männliches Gehabe zu kompensieren: „Ich hatte ständig Angst, irgendeine alberne, feminine Geste würde mich verraten. Das war ein Kampf wie der von Don Quichote.“ Ein Kampf, der nicht zu gewinnen war.
Es fällt einem heute fast ein bisschen schwer, sich den innerlich zerissenen Fußballer Marcus Urban vorzustellen. Urban ist freiberuflich als Kommunikationsberater in Hamburg tätig, er arbeitet als Designer, er hofft auf eine große Foto-Ausstellung. Er ist gebildet, diplomierter Stadtplaner und inzwischen 38 Jahre alt, ein Jahr älter als Justin Fashanu je werden sollte, der sich 1998 in einer verlassenen Londoner Autowerkstatt aufgehängt hat. Umso nachhaltiger wirken einzelne Sätze, die Urban über sein Leben an der Schwelle zum Profifußball sagt: „Man achtet darauf, unscheinbar zu wirken. Ich habe sogar versucht, nicht intelligent zu wirken.“
Das geht nicht lange gut. Urban entscheidet sich für ein Studium in Weimar, er kickt unterklassig weiter. Er geht für ein Jahr nach Süditalien, findet dort Abstand zu seinem alten Leben und Mut für ein neues. 1994 outet er sich. Das Talent für eine Profilaufbahn ist wohl noch da, aber mit dem Outing ist das Thema erledigt: „Ich hätte vielleicht ein Doppelleben aufbauen können“, sagt Urban, „aber irgendwann musste ich einfach zu mir kommen, um besser leben zu können.“
Die Leute müssen wissen: Wer nichts dagegen sagt, macht mit
Das ist im Kern auch Urbans Rat an homosexuelle Profis: sich treu zu bleiben, an die eigene Lebensqualität zu denken. Dass es schwule Erst- und Zweitligaspieler gibt, steht für Urban völlig außer Frage. Er gehört sogar zu den wenigen Leuten, die die These verfechten, im Fußball gebe es einen relativ hohen Anteil an Homosexuellen. Fußball, begründet Urban, sei eine Männerdomäne wie die Kirche, wie das Militär. Urban spricht von homosexuellen Profis, von Trainern und Funktionären, ehemaligen wie aktiven. Die meisten, sagt er, wüssten voneinander, seien über das Internet untereinander vernetzt und bemühten die üblichen Schutzmechanismen: Das Doppelleben mit Familie und Kindern, die professionelle Begleiterin, die gebucht wird, wenn der Verein feiert und die Kollegen nicht tuscheln sollen.
Trotzdem glaubt Urban, dass eine Änderung in einem Gesellschaftsbereich, der als schwulenfeindlich wie kein zweiter gilt, möglich ist. Sollte sich ein Spieler outen, hofft Urban auf breite Unterstützung, vor allem in den Stadien: Viele Menschen seien sensibler und toleranter als die Branche vielleicht glaube. Die Mehrheit auf den Rängen, sagt Urban, könne es unterbinden, dass ein homosexueller Spieler niedergebrüllt und beschimpft werde. Sie müsse sich nur bemerkbar machen. Die Leute, sagt Urban, „müssen wissen: Wer nichts dagegen sagt, macht mit.“