Der Gladbacher Flügelstürmer Marco Reus hofft nach vier Länderspiel-Absagen nun auf sein Debüt in der Nationalelf. „Es ist an der Zeit“, befand Bundestrainer Joachim Löw, „dass er einen Einsatz bekommt.“
Essen.
So richtig sicher war sich Joachim Löw nicht: „Also gesehen habe ich ihn noch nicht“, gestand der Bundestrainer. „Aber ich hätte wohl was gehört, wenn etwas dazwischen gekommen wäre.“ Und in der Tat: Das Phantom namens Marco Reus ist am Dienstag tatsächlich aufgetaucht im Quartier der deutschen Nationalmannschaft.
Es hätte wohl nicht viel gefehlt, und die ARD hätte einen „Brennpunkt“ gesendet, um von der heilen Ankunft des Mönchengladbacher Kickers in Mainz zu künden. Zu skurril, fast traumatisch ist bisher die Beziehung des Flügelstürmers und der Elite-Elf verlaufen. „Etwas unglücklich“ sei es bisher gewesen, sagte Reus. Eine hübsche Untertreibung.
Wiederholte Absagen
Fünf Mal hatte Löw den hochveranlagten 22-Jährigen bisher für Spiele der DFB-Auswahl berufen. Reus’ größter Erfolg: Der Platz auf der Ersatzbank in der Partie gegen Brasilien im August. Vier Mal aber musste der Tempo-Dribbler seit dem Frühjahr 2010 mit vermutlich belegter Stimme bei einem gewissen Herrn Löw anrufen – und mit immer neuen Diagnosen absagen. Mal war es eine Schambeinreizung samt Adduktorenproblemen, mal ein grippaler Infekt, ein anderes Mal ein Muskelfaserriss, der Reus’ Karriere im blütenweißen Hemd stoppte.
Löw lobt Reus
Dabei gehört Reus ohne Frage zu der Spezies, die nicht allein Klubtrainer Lucien Favre wegen ihrer „Polyvalenz“ schätzt. Reus bevorzugt die Außenbahn, zumeist rechts, ebenso aber kann er auf links, im Zweifel auch im Zentrum spielen. Vor allem aber bringt er im ohnehin exzellent bestückten offensiven DFB-Mittelfeld rund um die Özils, Götzes, Müllers und Podolskis eine Qualität ein, die Bundestrainer Löw gern hat: Reus verfügt über eine derartige Schnelligkeit, gepaart mit Dribblingkunst, die einen Gegner auch mal in der letzten halben Stunde zermalmen kann. „Er ist ein Spieler, der enormen Zug zum Tor hat und frech spielt“, lobte Löw am Dienstag. „Er kann jedes Spiel beleben und erfrischen.“
Die Schwärmerei (und entsprechend ein prinzipielles Kaufinteresse) hat längst die halbe Liga erfasst – auch BVB-Trainer Jürgen Klopp kann in gewohnt deutlicher Form vom „geilen Kicker“ schwärmen. Und in Dortmund dürfte längst nicht nur den Trainer wurmen, dass Reus seit 2009 in Mönchengladbach spielt, der „wahren Borussia“, wie Reus dann gern sagt. Es mag auch ein bisschen pflichtschuldig klingen seinem aktuellen Arbeitgeber gegenüber, vermutlich aber spricht daraus auch echte Dankbarkeit. Denn die andere Borussia, die eigentlich „seine Borussia“ sein müsste, hatte ihn einst aussortiert. Reus ist schließlich ein echter Dortmunder Junge, kickte erstmals als fünfjähriger Steppke beim Post SV Dortmund. Schon mit sieben wurde er ein Schwarz-Gelber, durchlief die BVB-Nachwuchsteams. Doch in der B-Jugend sortierten die Dortmunder ihr Eigengewächs aus – „zu schmächtig, zu schwach“, lautete das damalige Urteil. Und so fand Reus, nach drei Jahren in den Untiefen bei RW Ahlen mit Kumpel und Zimmerkollege Kevin Großkreutz, erst in Mönchengladbach das Milieu, das ihn wachsen ließ.
Vertrag in Gladbach läuft bis 2015
Reus will diese Wohlfühl-Umgebung, so betont er stets, trotz zahlreicher hoch dotierter Angebote nicht ohne Not verlassen. Sein Vertrag läuft bis 2015, Ausstiegsklausel inklusive. doch schon der Blick in jüngere Gladbacher Vereinschronik lehrt ihn, dass ein Standortwechsel nicht unbedingt von Vorteil sein muss. Früher nannte man Marco Reus den „neuen Marko Marin“ – und was seinerzeit als Kompliment gemeint war, ist heute eher eine Mahnung. Marin ging nach Bremen, galt als großer Hoffnungsträger – und stagnierte. Seine DFB-Karriere ist nach 16 Länderspielen erst einmal vorbei.
Reus will es besser machen. Und nicht nur Löw befand am Dienstag: „Es ist an der Zeit, dass er einen Einsatz bekommt.“