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„Der Schwatte“

„Der Schwatte“

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Foto: firo

Am 03. Mai, Monate nach dem Mauerfall, wechselte Ulf Kirsten vom DDR-Oberligisten in den Westen der Republik und heuerte bei Bayer 04 Leverkusen an, wo er eine Karriere absolvierte, die seinesgleichen sucht.

Andreas Thom war der Erste, viele weitere Spieler folgten. Als die Mauer fiel, wechselte Thom im Januar 1990 als erster DDR-Spieler offiziell in die Bundesliga. Bayer 04 Leverkusen sicherte sich die Dienste des Stürmers. Auch die Fußballer Matthias Sammer, Thomas Doll und Dariusz Wosz kamen aus der DDR-Oberliga in den Westen, aber am Rhein bildet Thom vier Monate später zusammen mit dem von Dynamo Dresden ebenfalls frühzeitig in die Bundesliga gewechselten Ulf Kirsten eins der erfolgreichsten Sturm-Duos der Bundesliga – und Ulf Kirsten entwickelte sich zu dem besten Angreifer der 1980er und 90er Jahre.

Geboren wurde Kirsten am 4. Dezember 1965 in Riesa, wo er sehr schnell den Weg zum Fußball fand. Im Alter von sechs Jahren begann Kirsten seine Fußballlaufbahn bei Chemie Riesa. Als er zwölf Jahre alt war verließ er Chemie und seinen langjährigen Trainer Günter Quaas und wechselte zum Nachbarverein Stahl Riesa. Dort blieb er allerdings auch nicht lange, denn der Talentsucher Walter Fritsch wurde auf ihn aufmerksam und lockte ihn zur SG Dynamo Dresden. Ein Jahr später besuchte Kirsten das Jugendfußballinternat in Dresden und durchlebt dort von der U15 bis U20 alle Jugendauswahlmannschaften der DDR.

In der Oberligasaison 1983/84 schaffte Kirsten den Sprung in die Profi-Mannschaft und war schnell etabliert. In 154 Oberligaspielen traf er 57-mal für sein Team, auch im Europapokal erzielte der Vollblutstürmer seine Tore: in 21 Partien traf er acht Mal. Mit Dresden wurde er zweimal DDR-Meister und gewann dreimal den Pokal. International scheiterte „der Schwarze“ – wie ihn die Dynamo-Fans aufgrund seiner tiefschwarzen Haare tauften (der „Schwatte“ im Rheinland) – im Halbfinale des Uefa-Cups. Knapp unterlag Dynamo dem VfB Stuttgart mit 0:1 im Hinspiel (das Rückspiel endete 1:1-Unentschieden). Trotzdem wurde Ulf Kirsten die Ehre zuteil, sich Fußballer des Jahres 1990 nennen zu dürfen.

Nach dem Mauerfall war Kirsten im Westen Deutschlands heiß begehrt, denn nicht nur seine internationalen Auftritte, sondern auch seine Leistung in der DDR blieben Fachleuten nicht verborgen. Beim VfL Bochum unterschrieb Kirsten einen Vorvertrag, bevor der Wechsel aber schließlich doch Platze. Reiner Calmund gelang es, den ostdeutschen Nationalspieler Ulf Kirsten für die Rekord-Ablösesumme von 3,5 Millionen DM unter Vertrag zu nehmen.

Seinen Einstand bei der Werkself feierte mit einem Treffer gegen Bayern München und schnell entwickelte sich der Riesaer zum besten einheimischen Bundesligastürmer der 90er Jahre. Von der Spielzeit 1990/91 bis zur Saison 2002/03 konnte Kirsten in 350 Erstligabegegnungen 182-mal ins gegnerische Tor treffen. Dazu kamen 32 Europapokaltreffer in 54 Partien für die Rheinländer. Seine Titelsammlung wuchs zwar nicht so schnell wie in der DDR (viermal wurde Kirsten Vizemeister mit Bayer 04), aber 1993 holte er mit seinem Tor gegen die Amateure von Hertha BSC den DFB-Pokal nach Leverkusen. Außerdem wurde holte er dreimal die Torjägerkanonen (1992/93, 1996/97 und 1997/98). Mit seinen 182 Bundesligatoren ist Kirsten unter den besten zehn Torjägern in der ewigen Torschützenliste der Bundesliga.

Die „Gnade der rechtzeitigen Geburt“ (so Gerd Niebaum) erlaubte er Kirsten, sowohl für die DDR-Auswahl, als auch für die gesamtdeutsche Nationalmannschaft zu spielen. Obwohl Kirsten im besten Fußballeralter war, nominierte ihn Bertie Vogts nicht für die EM in England, die Deutschland bekanntermaßen gewann. Sein 100. Länderspiel am 20. Juni 2000 gegen Portugal war zugleich sein letzter Auftritt im DFB-Dress.

Das große Abschiedsspiel fand am 16. November 2003 im Dresdener Rudolf-Harbig-Stadion statt, denn seine Verbindung zu seinem Heimatverein brach nie ab. Ministerpräsident Georg Milbradt dankte dem Fußballprofi vor tausenden Zuschauern persönlich für 30 Jahre Erfolg: „Ich möchte Ihnen danken, dass Sie nicht vergessen woher Sie kommen und dass Sie heute hier feiern und nicht in Miami oder Monaco.“ Nach seinem Karriere-Ende 2003 wechselte Kirsten die Perspektive. Er machte an der Sporthochschule in Köln seinen Trainerschein und hospitierte unter anderem bei seinem früheren Trainer Christoph Daum in Istanbul. Nach der Ausbildung wurde er Assistenztrainer von Bayer 04 Leverkusen und übernahm zur Saison 2005/06 zusätzlich den Cheftrainer Posten der Amateure von Bayer Leverkusen.

Tatsächlich stand Ulf Kirsten sogar einmal kurz vor einem Comeback auf dem Rasen. Sein Heimatverein hatte Interesse an der Verpflichtung von Kirsten gezeigt, um den verletzten Thomas Neubert zu ersetzen. Dresdens-Trainer Christoph Franke erklärte, dass Kirsten mit seinem Torriecher den Verein aus einer schwierigen Situation helfen kann. Die „Dresdner Morgenpost“ fand heraus, dass er zwar Interesse zeigt, jedoch derzeit nicht topfit wäre. In einem Interview sagte Kirsten später: „Nein. Das ist definitiv vorbei. Ich fühle mich sehr wohl an der Seitenlinie, und ich freue mich auf die Arbeit.“

Auch ohne Comeback bleibt „der Schwatte“ in der Bundesliga unvergessen.