Michael Schmid wechselt ständig seine Pferde. Als „Leih-Fahrer“ ist er auf Deutschlands Trabrennbahnen der drittbeste Mann im Sulky. Sein Geheimnis: Er kann sich schnell auf neue Pferde einstellen. Reiten allerdings kann Schmid nicht.
Gelsenkirchen.
Ein kleiner Klaps auf die Schulter hier, ein freundliches Nicken dort. Wenn Michael Schmid das Casino der Gelsenkirchener Trabrennbahn betritt, dann scheint ihn jeder – von der Kellnerin aus dem Ruhrgebiet bis zum Pferdebesitzer aus den Niederlanden – zu kennen. Kaum hat Schmid eine Tasse Kaffee bestellt, da steht Hubert Allekotte vor seinem Tisch. „Wann willst du den Heat fahren?“, fragt er.
Schmid schaut auf die Uhr und antwortet: „Ich bin um 16 Uhr bei dir im Stall.“ Hubert Allekotte ist der Besitzer von Lavinia Gre. Da Michael Schmid um 17 Uhr die sechsjährige Stute im ersten Rennen fahren wird, plant er den Heat, wie die Aufwärmphase vor einem Trabrennen heißt, eine Stunde vor dem Startschuss.
Es wird ein Wiedersehen nach einigen Jahren. „Ich glaube, ich bin mit ihr schon mal 2009 gefahren“, sagt Schmid, „aber wie sie im Moment so drauf ist, das weiß ich auch nicht genau.“ Das wird sich ganz schnell ändern. Denn Michael Schmid ist der Mann mit dem schnellen Blick. Er ist ein Catchdriver, einer der besten in Deutschland. Catchdriver, das hat nichts mit Wrestling und auch nichts mit Autos zu tun. „Leih-Fahrer“ trifft den Kern der Sache.
Die Besitzer buchen Schmid für ihre Trabrennpferde, weil ihm wenige Minuten, weil ihm zwei, drei Runden im Sulky vor dem Start genügen, um sich in ein Pferd einzufühlen. Oft ist es ein Blind Date, die Partner haben sich vorher noch nie gesehen. Es geht weder um Liebe auf den ersten Blick noch um eine langfristige Beziehung. Schneller Vollzug ist gefragt: ansehen, testen, loslegen und möglichst noch gewinnen.
Mit einfachen Pferden kommt jeder klar
„Als Catchdriver stehst du ständig vor einer neuen Herausforderung“, sagt der 45-jährige Schmid, „mit einfachen Pferden kommt jeder klar, aber wenn du bei einem schwierigen Pferd schnell das Richtige veränderst und dann zum Erfolg kommst, ist man eine ganze Woche stolz. Das ist der Reiz.“
Am Wochenende fährt Michael Schmid in Gelsenkirchen ausnahmsweise mal Pferde, die er bestens kennt. Bei der Breeders Crown, einem Höhepunkt der Trab-Saison, geht er vornehmlich für Marion Jauß an den Start. Drei Tage in der Woche trainiert er ihre Pferde. „Ich bin stolz, dass ich für sie fahren darf“, sagt Schmid, „vom Catchdriven allein kannst du nicht mehr leben. Vor 15 Jahren war das noch anders, aber heute sind die Rennpreise nicht mehr so lukrativ.“
Seit 29 Jahren im Trab-Geschäft
Die Zeiten sind härter geworden. Aber Schmid hat nie an den Ausstieg aus dem Sulky gedacht. „Die Pferde sind mein Leben. Ich kann auch gar nichts anderes.“ Und so eilt er von Bahn zu Bahn, von Pferd zu Pferd. Sein Terminplan der vergangenen Tage: Sonntag Rennen in Wien, Montag und Dienstag Training in Hamburg, heute bei seiner Frau und seinem Sohn Nico in Oberhausen. 100 000 Kilometer fährt er mit seinem Auto pro Jahr, etliche Flug-Meilen kommen hinzu.
Seit 29 Jahren ist er jetzt im Trab-Geschäft. Als 16-Jähriger kam er von Straubing ins Ruhrgebiet. Seine Eltern hatten zwei Traber. „Nachdem ich mit ihnen mal bei Heinz Gülden in Gelsenkirchen war, schlug er vor, dass ich bei ihm in die Lehre gehe“, erzählt Schmid, „ich habe mich scheinbar nicht so dumm angestellt.“
[kein Linktext vorhanden]Das kann man wohl sagen. Seit zwei Jahrzehnten zählt er zur ersten Garde der Fahrer. Auch in diesem Jahr trägt er den Bronzehelm, weil er 2011 die drittmeisten Siege eingefahren hat. „Mehr ist nicht drin“, sagt er, „ich fahre nur 600 Rennen im Jahr. Michael Nimczyk und Roland Hülskath kommen auf 1000 Einsätze.“
Zehn Millionen Euro Preisgeld
In seiner Karriere hat Schmid Preisgelder von rund zehn Millionen Euro eingefahren. Für den Mann im Sulky bleiben in der Regel nur fünf Prozent. Hat er irgendwann einmal daran gedacht, zum Galopp umzusteigen? Michael Schmid grinst. „Ob Sie es glauben oder nicht: Mein ganzes Leben habe ich mit Pferden verbracht, aber ich habe noch nie auf einem drauf gesessen.“ Der drittbeste Trabrennfahrer Deutschlands kann nicht reiten? „Dafür ist es zu spät“, sagt Schmid, „meine 82 Kilo will ich keinem Pferd mehr zumuten.“