Kleinkriminalität und fragwürdige Etablissements schädigen den Ruf der baltischen Metropole
Keine dreißig Minuten ist es her, dass ihre Maschine auf dem Rigaer Flughafen aufgesetzt hat, schon ist das niederländische Ehepaar Reisepässe, Führerschein, Kredit- und Versicherungskarten, Hausschlüssel und Geld los. Schockiert versuchen sie per Handy ihre Bank zu informieren. „Wer hätte gedacht, dass wir unseren Urlaub auch auf einem lettischen Polizeirevier verbringen“, versucht der Arzt Jaap van der Weg zu scherzen. Für den diensthabenden Polizeibeamten ist die Geschichte nichts Neues. „Auf dem Bahnhofsvorplatz geht es hektisch zu: Kleinkriminelle haben im Menschengewirr leichtes Spiel und rauben ahnungslose Touristen binnen Sekunden aus“, erzählt er.
Seit Lettland in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt, treibt es viele Arbeitslose zu kriminellen Handlungen. Die Hemmschwelle zur Gewalt habe ein neues Tief erreicht, titelte vor kurzem eine Rigaer Tageszeitung. Sie berichtete von einem Mord, der wegen eines Streits um 60 Euro verübt wurde. Mit Beginn der Tourismussaison dürften nun ahnungslose Ausländer zunehmend Opfer der Kriminellen werden. „Im Moment gibt es keinen anderen Ort, an dem Touristen so systematisch ausgenommen werden wie Riga“, schätzt die finnische Tageszeitung „Helsingin Samomat”.
So ist beispielsweise die Zahl der betrogenen Taxipassagiere in den vergangen Monaten explosionsartig gestiegen. Um die Klagen von Geprellten zu verifizieren, hat ein Fernsehsender seinen Brüsseler Auslandsjournalisten als Tourist getarnt auf Probefahrt geschickt. Kostet eine normale Taxifahrt je nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen laut Tarif zwischen zehn und fünfzehn Euro, so hat der Proband in einigen Fällen das Dreifache hinlegen müssen. Die Lage wird durch die vielen illegalen Taxis auf den Straßen Rigas verschärft. Der Stadtrat rät Taxi-Passagieren, im Zweifelsfall Belege anzufordern. Den Betrugsverdacht können sie dann bei der örtlichen Polizei anzeigen.
Die Fluggesellschaft AirBaltic kündigte unterdessen an, eine eigene Taxifirma zu gründen, damit sie ihren Passagieren in Zukunft eine sichere und vertrauenswürdige Alternative anbieten kann. Sie rät dazu, Taxiunternehmen mit Luxuskarossen zu meiden. Tipps zum richtigen Umgang mit betrügerischen Taxifahrern und anderen Kleinkriminellen kommen auch von geprellten Touristen, die sich im Internet in verschiedenen Foren zu Wort melden. Auch Unternehmen, die häufig mit ausländischen Kunden zu tun haben, stellen solche Informationen zur Verfügung. Ähnlich verhalten sich Hoteliers: In Sorge um das Wohlergehen ihrer Gäste führen sie Warnlisten, in denen eine ganze Reihe von Orten, Bars und Klubs aufgeführt werden, denen man lieber fernbleiben sollte. Um ihre Staatsbürger besser vor dem allgegenwärtigen Betrug zu schützen, führt auch die amerikanische Botschaft eine Schwarze Liste.
Negativschlagzeilen über Raub, randalierende Junggesellen auf Disko-Tour, Prostitution, Preisbetrug, Servicedefizite und Schwindel haben den Ruf der Stadt im Ausland stark sinken lassen, bestätigt der Generalmanager des Nobelhotels Maritim. Von Lettland, das sich gern mit seinen mittelalterlichen Städten, den malerischen Inseln, idyllischen Seebädern und einer beeindruckenden Landschaft rühmt und dessen Hauptstadt bei Touristen vor allem wegen der prächtigen Jugendstilbauten und der gut erhaltenen historischen Altstadt beliebt ist, formt sich plötzlich ein völlig anderes Bild. Hoteliers und Gastwirte befürchten, dass sich dieser Trend durch die Folgen der Wirtschaftskrise noch verstärkt.
„Eine ganze Leine voll schmutziger Wäsche hängt vor den Toren dieser Stadt“, schimpft Janis Vanags, der bei einer Fluggesellschaft arbeitet. Dies schädige den Ruf der gesamten Tourismusbranche. Mehrere ausländische Botschaften haben deshalb die Stadtverwaltung zum Handeln aufgefordert. Die Verwaltung versucht beispielsweise auf Drängen des amerikanischen Konsuls, die Arbeit der polizeilichen Dienststellen und der Botschaften besser zu vernetzen. Denn mittlerweile ist die Situation so unübersichtlich, dass viele der betrogenen und ausgeraubten Touristen es meiden, die Polizeidienststellen aufzusuchen. Stattdessen wenden sie sich lieber an ihre Botschaft.
Im Omnibus der Linie 22, die zwischen der Innenstadt und dem Flughafen verkehrt, verpassen vier Kontrolleure der öffentlichen Verkehrsgesellschaft einer kleinen Reisegruppe aus Finnland ein Bußgeld von gut sieben Euro. Grund ist die Reisetasche, die die Fluggesellschaft zuvor als Handgepäck eingestuft und kostenlos befördert hat.
Laut der Kontrolleure, die vor Ort nachgemessen haben, ist die Tasche einen Zentimeter zu groß und somit kostenpflichtig. Mit Unverständnis reklamiert die Gruppe, dass sie vom Busfahrer darauf nicht aufmerksam gemacht worden sei. Viel Zeit für eine Diskussion bleibt nicht und so zahlen sie frustriert das Bußgeld.