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Tief im Westen lässt man's krachen

Tief im Westen lässt man's krachen

Aachen (dapd). „Kaiser Karl konnte keine Kümmelkerne kauen“, heißt es in einem Schnellsprechreim, der in seiner vollen Länge zum Zungenbrecher wird: „Warum konnte Kaiser Karl keine Kümmelkerne kauen? Weil Kaiser Karl keine Kümmelkerne kauen konnte.“ Wozu auch? Kümmel gehört nicht zu den Zutaten der Aachener Printen. Das „Nationalgebäck“ seiner Lieblingsresidenz wird als Leibspeise Karls des Großen (742-814) gehandelt. Das Rezept sei ihm sogar mit ins Grab gelegt worden. „Alles nur Legende“, sagt Bäckermeister Andreas Klein.

Dem Kaiser beziehungsweise seiner Vorliebe für die wohltuende Kraft des bereits von Kelten und Römern genutzten Thermalwassers verdanke Aachen zwar den Aufstieg zur Residenzstadt. Aber Printen habe es noch nicht gegeben, als Karl der Große seinen Wohnsitz, die Kaiserpfalz, prunkvoll ausbauen ließ. Printen müssten zudem beim Kauen krachen, so hart seien zumindest die klassischen Gewürzschnitten, erklärt der Juniorchef der Bäckerei Klein. Ihren Ursprung hätten Printen im belgischen Dinant. Für das Gebildgebäck wird der Teig in Holzformen gepresst – daher der Name. Bronzegießer brachten es als Wegzehrung mit, als sie 1620 die Figur für den Karlsbrunnen am Aachener Markt gossen. „Wir Öcher (Aachener Mundart) verfeinerten die harten Honigkuchen dann mit exotischen Gewürzen“, sagt Klein.

Auch wenn er bei seiner Führung durch die Backstube hinter die Kulissen schauen lässt, das genaue Rezept verrät er nicht. Das wird seit Generationen als Familiengeheimnis gehütet. Sein Traditionsbetrieb nahe dem Marschiertor, das neben dem Ponttor im heutigen Studentenviertel als einziges der ursprünglich fast ein Dutzend Stadttore erhalten blieb, feiert nächstes Jahr 100. Jubiläum. Begeisterung spricht aus jedem Wort des 29-Jährigen, und als wir ihn später zufällig in der weihnachtlich geschmückten Krämerstraße treffen, weiß er als Öcher Urgestein auch da so einiges zu erzählen.

Für viele sind heute die Carolus-Thermen der Grund, die Stadt zu besuchen. Dem wertvollen Heilwasser verdankt Aachen auch seinen Namen, der vom altgermanischen Begriff für Wasser, „ahha“, abgeleitet wurde. Dabei fließt in der Stadt gar kein Fluss. Nur einer der circa 30 unterirdischen Bäche wurde freigelegt. Dafür verzieren viele Brunnen das Stadtbild, vom Brunnen „Kreislauf des Geldes“ über den „Puppenbrunnen“ mit beweglichen Figuren bis zum Elisenbrunnen samt einstigem Kurpark, um nur einige zu nennen. Letzterer präsentiert sich heute als offene, von zwei klassizistischen Pavillons begrenzte Säulenhalle, die im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. entstand. Im Rondell sprudelt Wasser aus den bis zu 70 Grad heißen schwefelhaltigen Quellen.

Natürlich kommen auch viele Gäste aus der ganzen Welt, um den kostbarsten Domschatz nördlich der Alpen zu sehen. Die neue Route Charlemagne führt sie als eine Art Wegweiser durch die Geschichte der Stadt. Schon im Mittelalter war Aachen einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Europas. Der Aachener Dom, ursprünglich als Oktagon nach byzantinischem Vorbild errichtet, war Krönungskirche für über 30 deutsche Könige. Er beherbergt nicht nur den Königsthron und die Gebeine Karls des Großen. Aller sieben Jahre zur traditionellen Heiligtumsfahrt werden einem vergoldeten Schrein Stoffreliquien aus Jerusalem entnommen, um sie den Pilgern zu präsentieren.

Aus der Zeit Karls, den der Papst in Rom 800 zum „Imperator Romanum“ krönte, ist auch noch der Granusturm erhalten. Das gotische Rathaus, unweit des Doms auf den Grundmauern des karolingischen Palastbaus errichtet, zeigt an seiner Fassade die gekrönten Häupter. Im Krönungssaal sind die Kopien der Reichsinsignien zu sehen.

Doch alle Jahre wieder, wenn die Weihnachtstage näher rücken, wird der stimmungsvolle Weihnachtsmarkt Anziehungspunkt für die Besucher von nah und fern. Sie tauchen ein in das Lichtermeer gemütlicher Marktstände und festlich geschmückter Gassen rund um das „Aachener Wohnzimmer“, wie die Öcher den Katschhof zwischen Dom und Rathaus nennen. Ein verführerischer Duft aus Glühwein und orientalischen Gewürzen hängt in der Luft. Überdimensionale Printenfiguren beherrschen die Schaufenster. Printen- und Schokoladenhersteller haben Hochkonjunktur.

Auch für die Bäckerei Klein ist Weihnachten das Hauptgeschäft. Dabei ist die Printe eigentlich kein Weihnachtsgebäck. Es ist das Markenzeichen Aachens. Viele nehmen es als Geschenk und Souvenir mit nach Hause. „Wir exportieren Printengebäck und -figuren, unsere größte misst 70 cm, in alle Welt bis nach New York und Tokio“, sagt Klein. Natürlich sei der Konkurrenzdruck bei über 40 in der Stadt eingetragenen Handwerksbetrieben groß. „Wir sind zwar nicht die älteste, aber die einzig reine Printenbäckerei, seit wir vor elf Jahren auf den übrigen Backwarenbereich verzichtet haben.“ Übrigens wurden längst weiche Printen und Printenkonfekt mit Schokoladenüberzug oder Mandelsplittern kreiert, die beim Verzehr nicht mehr krachen. „Wir verkaufen auch auf anderen Weihnachtsmärkten, etwa in Köln, Düsseldorf und Essen“, fügt der Juniorchef geschäftstüchtig hinzu. Und gemahlene Printen seien in Aachen ein bevorzugtes Gewürz für Sauerbraten, verrät der junge Bäckermeister. Das würde sicher auch Kaiser Karl gefallen, der vielleicht wirklich keine Kümmelkerne kauen konnte.

dapd