So will der Westharz neue Besuchergruppen anlocken
Mit dem Image als Urlaubsregion für alte Menschen kämpft der Harz seit Jahren. Die Branche will deshalb reagieren – mit neuen Investitionen.
Göttingen.
Bei einem Urlaub im Harz denken manche an Renter in beigefarbenen Wanderjacken oder Gaststätten mit dem Charme der 1970er Jahre. Aber stimmt dieses Klischee noch?
In der Region wird derzeit viel investiert – damit der Harz für Familien, junge Menschen und andere Gruppen attraktiver wird. Vor allem der Westharz in Niedersachsen hat zuletzt einige neue Attraktionen erhalten. „Wir müssen unser Image aufbessern“, sagt die Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes (HTV), Carola Schmidt.
Harz soll als Ganzes attraktiver werden
Als Beispiele für gelungene Investitionen auf niedersächsischer Seite nennt Schmidt die Baumschwebebahn in Bad Harzburg oder das Harzresort mit Hotelzimmern, Ferienhäusern und Lodges in Torfhaus. Kurz hinter der Grenze in Sachsen-Anhalt wird zudem an der Rappbodetalsperre investiert, unter anderem mit einer Seilrutsche und einem Bungeesprung-Angebot. „Diese Investitionen sind ein Segen, aber es ist wichtig, dass die gesamte Region aufgewertet wird“, sagt Schmidt. Auch Hotels und Restaurants wurden der Tourismuschefin zufolge modernisiert. Dies sei eine Grundvoraussetzung dafür, dass Besucher überhaupt kommen.
Das sieht der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Niedersachsen, Rainer Balke, ähnlich: „Die aktuellen Projekte zeigen in die richtige Richtung. Es gibt Qualität auf breiter Linie.“ So setzten etwa immer mehr Restaurants auf Bio-Gerichte oder werteten ihre Inneneinrichtung auf. Die Hauptgeschäftsführerin des Industrie- und Handelsverbandes Niedersachsen (IHKN), Birgit Stehl, spricht ebenfalls von einer „nachhaltigen Verbesserung des touristischen Angebots“. Auch die Verkehrsinfrastruktur habe sich in den vergangenen Jahren mit dem Ausbau der umliegenden Bundesstraßen verbessert.
Von Mountainbike-Arena bis Therme
Die Strahlkraft großer neuer Attraktionen sei für die Region unerlässlich, sagt die Harzer Tourismuschefin Schmidt. Großprojekte lockten weitere kleinere Investoren an und polierten das Image der Region auf. „Wir wissen, dass gerade der Westharz oft als heruntergekommen und veraltet wahrgenommen wird“, sagt Schmidt. IHKN-Geschäftsführerin Stehl hebt die neue Sommerrodelbahn und den Sessellift auf dem Bocksberg hervor, ebenso die Mountainbike-Arena in Clausthal-Zellerfeld sowie die Therme „Heißer Brocken“ in Altenau. Auch der Ausbau der Beschneiung auf dem Wurmberg sei wichtig gewesen.
Zu den populärsten Neubauprojekten zählen laut Stehl der Baumwipfelpfad und die Baumschwebebahn am Burgberg in Bad Harzburg. Die Investition sei ein voller Erfolg, heißt es von Betreiberseite. „Wenn wir auf die Besucherzahlen schauen, sind wir sehr zufrieden“, sagt Geschäftsführerin Eva-Christin Ronkainen-Kolb vom Unternehmen Harzventure. Trotz Corona habe dank der neuen Schwebebahn die Zahl von 200.000 Gästen jährlich gehalten werden können.
Neue Besucher in Corona-Zeit
Seit 2013 steigen die Besucherzahlen im Harz kontinuierlich. Im Jahr 2019 zählte das niedersächsische Wirtschaftsministerium 4,7 Millionen Übernachtungen und über 19 Millionen Tagesgäste – laut HTV ein Rekordjahr. Im von der Pandemie geprägten Jahr 2020 gab es immerhin noch 3 Millionen Übernachtungen. Wegen der Einschränkungen bei Auslandsreisen hätten viele Menschen Urlaub in Deutschland gemacht. Deshalb sei die Nachfrage nicht noch stärker eingebrochen, heißt es aus der Branche.
Und: Es seien Urlauber gekommen, die sonst womöglich nicht den Harz besucht hätten. Viele dieser Touristen hätten die Ziele vor der eigenen Haustür neu kennen und schätzen gelernt. Immer mehr Menschen legten beim Urlaub Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität. Das aktuelle Interesse am Urlaub im eigenen Land wollen die Harz-Touristiker nutzen. Ziel sei, dass die neuen Besucher zukünftig zumindest ihren Zweiturlaub im Harz verbringen, sagt Carola Schmidt.
Region möchte breite Zielgruppe von sich überzeugen
Der Harz ist groß. Entsprechend unterschiedlich sind die touristischen Angebote in der Region. „Wir haben einige Städte, aber vieles findet auch in der Fläche statt“, erläutert Schmidt. Es gelte Aktivsportler im Sommer und Winter genauso anzusprechen wie Wellnesstouristen, Familien ebenso wie Senioren und junge Paare oder Gruppen. In Planung sei derzeit eine neue Strategie mit Angeboten für Kinder. Auch das niedersächsische Wirtschaftsministerium fordert mehr zielgruppengerechte Angebote. Nach der Pandemie gelte es, verstärkt auf Nachhaltigkeit und Qualität zu setzen, lautet die Empfehlung aus Hannover.
Förderung vom Land und private Investitionen
Das „Zukunftskonzept Harz 2025“ beschreibt, wie sich der Tourismus entwickeln könnte. „Unterstützung benötigt die Harzregion dabei von allen drei Harzanrainerländern gleichermaßen und ausgewogen“, heißt es in dem Konzept. Dazu hat das Land Niedersachsen unter anderem über Corona-Hilfen für Gaststätten und Tourismus 5,76 Millionen Euro an Unternehmen aus den Harz-Kreisen Goslar und Göttingen ausgeschüttet. Zudem wurden nach Ministeriumsangaben seit 2017 in 34 Betrieben Investitionen mit insgesamt 20 Millionen Euro gefördert. Dadurch seien 376 Arbeitsplätze geschaffen worden. Die überwiegende Mehrheit der Bau- und Umbauprojekte im Harz werde aber aus privater Hand finanziert, sagt Dehoga-Geschäftsführer Balke.
Personalmangel als Wachstumsbremse
Hemmschuh bei der weiteren Entwicklung der touristischen Angebote im Harz ist der Fachkräftemangel. Personal fehlt unter anderem in Hotellerie und Gastronomie. „Das ist die größte Wachstumsbremse“, sagt Balke. Die Branche müsse deshalb auch als Arbeitgeber attraktiver werden, etwa durch flexiblere Arbeitszeiten oder eine bessere Bezahlung. Mehr Selbstbedienung könne außerdem dabei helfen, die vorhandenen Beschäftigten in ihrem Arbeitsalltag zu entlasten.
Harzturm öffnet im Frühjahr 2022
Um die gute Stimmung mitzunehmen und auch in Zukunft Urlauber von sich zu überzeugen, sind weitere Investitionen geplant. In Torfhaus soll unter anderem im Frühjahr 2022 der Harzturm eröffnen. Das ist ein aus Holz gezimmerter 65 Meter hoher Turm mit einer frei stehenden Aussichtsplattform und einer 110 Meter langen Erlebnisrutsche. Nach der 2017 eröffneten Hängebrücke an der Rappbodetalsperre soll der Harz zudem eine weitere Seilbrücke erhalten. In Sankt Andreasberg soll sie auf 500 Metern Länge den Matthias-Schmidt-Berg und den Beerberg verbinden. In Bad Harzburg will das Unternehmen Harzventure sein Angebot um ein 8D-Kino erweitern.
Birgit Stehl von der IHKN hält darüber hinaus die Kooperation über Landesgrenzen hinweg für ausbaufähig. „Oftmals enden touristische Angebote – wie beispielsweise die Romantische Straße – an einer Landesgrenze“, kritisiert sie. Die Straße der Romantik verbindet in Sachsen-Anhalt zahlreiche Kirchen, Burgen und Klöster. (dpa)