Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen und geschäftstüchtige Einheimische versuchen, Wintersportler in das Koh-e-Baba-Gebirge in der Provinz Bamijan zu locken. Das unberührte Gebirge hat bis zu 5000 Meter hohe verschneite Gipfel zu bieten.
Koh-e-Baba-Gebirge/Afghanistan.
Staunend sieht ein Häuflein Dorfbewohner tief in den Bergen Afghanistans zu, wie sich ein Profi-Snowboarder aus Neuseeland über eine Schar von Kindern hinweg katapultiert, zwei von ihnen hoch zu Esel. Anlass des denkwürdigen Aufeinandertreffens von Afghanen und Ausländern ist ein verblüffender Vorstoß, in dem vom Krieg zerrissenen Land den Tourismus zu fördern.
Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen und geschäftstüchtige Einheimische versuchen, Snowboarder und Skifahrer auf die unberührten Hänge des Koh-e-Baba-Gebirges mit seinen bis zu 5.000 Meter hohen Gipfeln zu locken. Sie wollen etwas für die Provinz Bamijan tun, wo einst die 2001 von den Taliban zerstörten riesigen Buddha-Statuen standen und die zu den ärmsten Provinzen Afghanistans zählt.
Kein Wunder, dass das nicht einfach ist. Zwar geht es in Bamijan relativ friedlich zu, doch lassen sich nicht ganz so abenteuerlustige Reisende nur schwer zu einem Besuch bewegen. In Kabul gelandet, gilt es mangels Linienverkehr einen Diplomaten- oder Hilfsflug nach Bamijan zu erwischen. Einige Hartgesottene trotzten auf der Sechs-Stunden-Fahrt der Gefahr, ausgeraubt oder entführt zu werden.
Mit „Esel-Lift“ bergan
In Ermangelung von Skiliften setzt jede Abfahrt erst einmal einen atemraubenden Aufstieg voraus; Skifahrer schnallen Felle unter, und Snowboarder nehmen zerlegbare Boards. Die Autoren des maßgeblichen – und einzigen – Ski-Führers für Bamijan empfehlen überdies den „Esel-Lift“: Man miete im nächsten Dorf einen Esel und reite bergauf. Die im Winter geöffneten Gästehäuser bieten kaum mehr als ein Bett und einen Holzofen. Das „Après Ski“ besteht aus Tee, Kebab und Gesellschaftsspielen.
Doch die Berge sind großartig und die Abfahrten die einsamen, unberührten Hänge hinunter schier endlos. Das zog auch die Snowboard-Profis aus Neuseeland und Australien an, die Ende Februar nach Bamijan kamen, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Bevor sie von einer selbst gebauten Schanze aus über Kinder und Esel springen durften, bedurfte es indes einiger Überzeugungsarbeit im Dorf.
Bis zum sowjetischen Einmarsch 1979 kamen jährlich tausende Touristen nach Bamijan, wanderten durchs Gebirge, rasteten am tiefblauen Band-e-Amir-See und bewunderten die Buddhas. Doch der Fremdenverkehr beschränkte sich weitgehend auf den Sommer, Wintersport war in der Gegend unbekannt. Bei Kabul hatten unternehmungslustige Afghanen ein paar Schlepplifte gebaut, doch damit war nach dem Einmarsch der Sowjets auch Schluss.
Vor dem Frühstück auf die Bretter
Den Anstoß zur Entwicklung des Skigebiets Bamijan gab 2010 die Aga-Khan-Stiftung in Genf, die einen Reiseführer in Auftrag gab, Einheimischen das Skifahren beibrachte und internationale geprüfte Tourenführer anheuerte. Ein schweizerischer Journalist organisiert seit 2011 ein Skirennen: Dieses Jahr gingen Anfang März zehn Afghanen und fünf Ausländer an den Start, darunter ein AP-Reporter. Das Rennen über sieben Kilometer umfasste einen 500-Meter-Aufstieg mit Fellen und eine Abfahrt durch tiefen, schweren Pulverschnee. Afghanen belegten mit großen Abstand die ersten drei Plätze – weniger aufgrund ihrer Abfahrtskünste, sondern weil sie so schnell aufsteigen konnten.
Viele Einwohner von Bamijan unterstützen das Ski-Projekt, andere aber sträuben sich. Es gibt Klagen, dass Skiläufer in der Nähe von Wohnhäusern urinierten, dass sie Frauen fotografierten und womöglich die Kinder vom Koranstudium ablenkten. Doch die Dorfjugend hat einen Heidenspaß dabei, mit gespendeter oder selbst gebastelter Ausrüstung durch den Schnee zu pflügen. Der 16-jährige Arif hat sich aus Brettern und flachgeklopften Blechdosen ein Paar Skier gezimmert. Er muss zwar im Winter die Koranschule besuchen, hat aber einen Dreh gefunden, wie er trotzdem mit Freunden ein bisschen Skilaufen kann: „Gleich nach dem Aufwachen gehen wir Skifahren, noch vor dem Frühstück.“
Erster einheimischer Tourenführer
Die knospende Wintertourismusbranche zeitigt erste, kleine Erfolge. Der 28-jährige Unternehmer Gull Hussein gründete voriges Jahr ein Reisebüro und bietet ein dreitägiges Pauschalpaket für 315 Dollar (240 Euro) an. Darin enthalten sind Unterkunft, Transfers, Leihski und geführte Touren. Rund 70 Ausländer haben schon gebucht, die meisten aus Kabul.
Ali Schah Farhang ist der erste einheimische Tourenführer Bamijans. der 20-jährige Student lernte vor einem Jahr von einem vom Aga Khan engagierten italienischen Skilehrer das Skifahren und führt jetzt ausländische Gäste in die Berge. Er verdient monatlich 100 Dollar (75 Euro) von der Aga-Khan-Stiftung und zusätzlich 30 Dollar (23 Euro) pro Tour. Das ist viel Geld in einem Land, in dem ein Durchschnittsbeamter in der Hauptstadt 200 Dollar (150 Euro) verdient. Auf dem Land im armen Bamijan ist es ein Vermögen. „Ausländer in Afghanistan kämpfen normalerweise gegen die Taliban“, sagt Farhang. „Aber in Bamijan fühlen sie sich wohl, da laufen sie Ski.“ (AP)