Der Kursverfall der türkischen Lira erscheint für Urlauber verlockend, könnte der Türkei jedoch große Probleme bescheren. Experten warnen vor einem allzu laxen Umgang mit Kreditvergaben – er könnte für reichlich Katerstimmung nach der Party sorgen.
Istanbul.
Deutsche Urlauber in der Türkei können sich derzeit nicht nur am schönen Wetter an den Küsten von Mittelmeer und Ägäis erfreuen, sondern auch an den besonders günstigen Preisen in Hotels, Restaurants und Basaren. Seit Herbst vergangenen Jahres verlor die türkische Lira rund 20 Prozent an Wert: Derzeit bringt ein Euro rund 2,57 Lira, manche Experten rechnen mit einem weiteren Abrutschen in den kommenden Monaten.
Rekordverkäufe bei Mercedes Türkei
Was die Touristen freut, macht manchen Experten und Investoren aber große Sorgen. Im Zentrum der Kritik steht die Zentralbank in Ankara: Ihr wird vorgeworfen, zu wenig gegen den Kursverfall zu tun. Die Türkei erlebt seit Jahren einen Atem beraubenden Wirtschaftsboom mit märchenhaften Wachstumsraten von neun Prozent im vergangenen Jahr und erwarteten sieben Prozent für 2011.
Das Bruttoinlandsprodukt hat sich innerhalb eines Jahrzehnts verdreifacht. Die Türken verdienen dabei nicht nur mehr Geld als früher, sie geben es auch aus. Trotz der beträchtlichen Verteuerung des Euro verkaufen deutsche Automobilhersteller am Bosporus so viele Wagen wie nie zuvor. Mercedes Türkei berichtete gerade erst von Rekordverkäufen.
Lira sackt immer weiter in den Keller
Die Türken sicherten mit ihrem Kaufhunger viele Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie, sagte Wirtschaftsminister Zafer Caglayan kürzlich. Doch die Sektlaune bei Unternehmern und Verbrauchern hat ihre Schattenseiten: Finanziert werden neue Anschaffungen der Konsumenten oft genug über Kredite, die bei türkischen Banken äußerst einfach zu haben sind, mitunter sogar spontan am Bankautomaten.
Das Kreditwachstum liegt bei 35 Prozent. Wichtige Kennzahlen der türkischen Wirtschaft leiden unter dem Konsumboom, der Kurs der Lira sackt immer weiter in den Keller, zuletzt noch beschleunigt durch eine überraschende Zinssenkung der Zentralbank Anfang des Monats. Importe werden dadurch teurer, was nicht nur wegen der Abhängigkeit von Energieeinfuhren bedenklich ist, sondern auch wegen der höheren Preise, die türkische Unternehmen für Rohstoffe und halbfertige Produkte zahlen müssen.
„Alles ist bestens, esst und trinkt nur weiter“
Kritiker warnen, eine schwere Krise in Europa – der Hauptadresse der türkischen Exporte – könne die Wirtschaft am Bosporus mit in den Strudel reißen. Eigentlich sei es die Aufgabe einer Zentralbank, angesichts der Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft „auf der Party den Schnaps einzusammeln, bevor sich alle besaufen“, sagte der Oppositionspolitiker Faiz Öztrak kürzlich.
Doch stattdessen sage die Bank: „Alles ist bestens, esst und trinkt nur weiter.“ Erst kürzlich signalisierte die Zentralbank mit dem verstärkten Verkauf von Dollar zwar, dass sie den weiteren Kursverfall stoppen will. Im Grunde ist den Währungshütern in Ankara aber eine relativ schwache Lira recht, denn ein niedriger Kurs macht türkische Waren im Ausland billiger und ist damit gut für den Export.
Nach der Party droht der Kater
Der Finanzexperte Gökhan Uskuay spricht von einer „kontrollierten Abwertung“ der Lira durch die Zentralbank. Ohnehin habe die Lira schon schwächere Tage erlebt, schrieb der Wirtschaftskolumnist Güngör Uras in der Zeitung „Milliyet“ mit Blick auf den bisherigen Tiefstand der Währung im Vergleich zum Dollar im März 2009. Die Regierung in Ankara gibt sich entsprechend zuversichtlich.
Im ersten Halbjahr habe die Türkei 6,2 Milliarden Dollar ausländische Direktinvestitionen angezogen und erweise sich damit als sicherer Investitionshafen in stürmischen Zeiten der Weltwirtschaft, erklärte Minister Caglayan. Bis zum 100. Gründungsjubiläum der Republik im Jahr 2023 soll die Türkei nach dem Willen der Regierung zu den zehn stärksten Volkswirtschaften der Welt gehören; derzeit liegt das Land auf Rang 17. Zumindest aus Sicht Ankaras ist die Party noch lange nicht vorbei – auch wenn möglicherweise ein schwerer Kater droht. (afp)