Reit im Winkl in den bayerischen Alpen bietet das gesamte Programm des entspannten Wintertourismus.
Reit im Winkl.
Es kostet Überwindung, sich bei den ersten Sonnenstrahlen aus dem Bett zu schälen und die Langlaufskier hinaus in die Eiseskälte zu tragen. Aber es lohnt sich.
Während die meisten Gäste noch frühstücken, hat man die Loipe endlich für sich allein. Und kann mit grandiosem Blick auf die weißen Berge dahin gleiten, unbekümmert von der Sorge, einem Einheimischen im Weg herumzustümpern. Denn tagsüber wird es oft eng auf den blauen Loipen in Reit im Winkl. Die Schleifen durchs Tal sind so sonnig, dass auch erfahrene Langläufer sie gern laufen. Und von denen gibt es in dem traditionsreichen Wintersportort im Südosten Bayerns viele.
Der Großteil der Gäste reise zum Winterwandern und Langlaufen an, berichtet Florian Weindl, der Chef der lokalen Tourismusagentur. Der vergangene Corona-Winter mit geschlossenen Grenzen und Skigebieten hat den Trend zum sanften Wintersport beschleunigt.
Immer mehr Urlauber wollen Abwechslung: einen Tag langlaufen, am nächsten Tag spazieren und rodeln, dann eine Schneeschuhtour. Das breite Angebot an Leihausrüstung macht’s möglich.
Übers verschneite Hochmoor
Die perfekte Spielwiese für ein multiples Wintervergnügen ist die Hemmersuppen-Alm. Per Shuttlebus kurvt man hinauf zur Hindenburghütte auf 1260 Metern Höhe, wo mehrere herrliche Loipen beginnen – und seit 2009 der erste Premium-Winterwanderweg Deutschlands.
Im sanften Auf und Ab schlängelt sich der gewalzte Pfad sechs Kilometer weit über die Hemmersuppenalm. Gleich oberhalb der Hütte blickt man weit hinaus auf den Chiemsee mit seinen Inselchen und auf bayerische Bergberühmtheiten wie Kampenwand und Geigelstein.
Früher sei der Spazierweg direkt neben der Loipe gewalzt worden, erzählt Weindl. Die Pioniere des Skating-Stils, für den es keine gespurten Loipen braucht, sahen das als Einladung. Skating-Loipen gab es damals nämlich nicht. Die Folge waren Konflikte.
Das Deutsche Wanderinstitut empfahl, den Winterwanderweg fernab der Loipen über die Alm zu führen. „Der Winterwanderer sucht ja die Stille, das entschleunigende Gedankenspiel“, sagt Weindl.
Also modellierten Wegebauer und Touristiker den Premiumweg neu, gemäß dem Baukasten für massenkompatibles Wandern. Man baute Kurven ein, führte den Pfad über Kuppen und durch Baumgruppen – wie natürliche Portale, hinter denen sich der nächste Weitblick öffnet. Man kann das effekthaschend nennen. Oder schlau und kundenorientiert.
Im ersten Sternenpark der Alpen
Der heilklimatische Kurort Reit im Winkl ist nicht gerade für sein Nachtleben berühmt. Statt nach Après-Ski-Bars zu suchen, fährt man abends besser hinauf zur Winklmoosalm. Seit Mai 2018 ist sie der erste Sternenpark der Alpen. Warum?
Das sieht man nach ein paar Minuten, nachdem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Langgezogen schimmert die Milchstraße am Nachthimmel, inmitten unzähliger Sterne. Die Zertifizierung durch die International Dark-Sky Association sei knifflig gewesen, erzählt Weindl. Auf der Alm stehen Hotels und Gasthöfe. Deren Besitzer seien zuerst skeptisch gewesen. Schließlich galt es, mehr als 100 Lichtquellen zu ändern, um die strengen Kriterien zu erfüllen.
Schneesichere Almen
Die auf weit über 1000 Metern Höhe gelegenen Almen werden für Reit im Winkl wichtiger. Selbst hier im Schneeloch lässt der Klimawandel die Wintersportler immer öfter hängen. Auf den Höhenloipen auf der Hemmersuppen- und Winklmoosalm dagegen können Langläufer in der Regel schon Anfang Dezember ihre Runden drehen. Im Tal produziert Reit im Winkl einen künstlichen Schneevorrat, um offene Stellen an den Loipen, Straßenübergängen und steilen Abfahrten auszubessern.
Mehr als 200 Kilometer Loipen bietet Reit im Winkl. Sportliche Langläufer bevorzugen die Chiemgauloipe, die gut 24 Kilometer weit bis nach Ruhpolding führt. Die meisten aber lieben die flache Sonnenloipe, die ihren Namen vollkommen zu Recht trägt. Noch schöner ist die Kulisse der Skating-Loipe im etwas höher gelegenen Ortsteil Blindau, wo man mit Logenblick auf den Wilden Kaiser dahin gleitet.
Als Langlaufen in den 1970er Jahren mit der Fitnesswelle zum Breitensport wurde, wünschten die Langläufer steile, fordernde Loipen. Heute sind sonnige, entspannte Loipen en vogue.
Schwarze Loipen sind out
Gerade in den vergangenen Jahren wurden einige Loipen entschärft. Und um während der Corona-Pandemie die Abstandsregeln einhalten zu können, walzte man die Pisten für Skater noch breiter. „Je mehr Leute kommen, desto sanfter muss es sein“, sagt Weindl. „Über kurz oder lang werden wir manche schwarze Loipe nicht mehr spuren.“
Dafür gibt es seit 2018 eine Kinderloipe. Entworfen hat sie der Langlauftrainer Andreas Mühlberger. Seine Tochter stand mit drei Jahren das erste Mal auf Langlaufskiern. Dabei sah der Vater, dass sie auf der für Erwachsene angelegten Spur extrem breitbeinig dahin rutschte. Mühlberger bat einen Hersteller von Pistengeräten, eine Platte für eine schmalere und weniger tiefe Spur zu entwickeln.
Weil Kinder ungern monoton marschieren, führte Mühlberger die Kinderloipe um bunte Figuren herum. Jede Loipe bekam ein Symbol. „So kann ich meinen Kinder sagen: Lauft immer nur der Sonne nach.“ (dpa)